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Meister Nishijima praktiziert Buddhismus seit über 60 Jahren. Er war Schüler von Meister Kodo Sawaki, einem japanischen umherziehenden Priester, der berühmt dafür war unermüdlich zu betonen, dass die Praxis des Zazen ihren richtigen zentralen Platz im Buddhismus erhält und der selbst intensiv praktizierte. Meister Nishijima wurde von Meister Renpo Niwa als Priester ordiniert, der später als Abt den Zentraltempel des Soto-Buddhismus leitete. Nishijima Roshi hat viele Bücher über Buddhismus u.a. von Dogen sowohl in Japanisch als auch in Englisch geschrieben. Über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren hat er in Japanisch und Englisch viele Vorträge gehalten, Seminare und Sesshins geleitet sowie genaue Anweisungen zum Buddhismus und vor allem zum Zazen gegeben. Deutsche Fassung: Yudo J. Seggelke

Dienstag, 5. Mai 2015

Neues Buch



Das Herz des Zen-Buddhismus
Themen: Leben, Wirklichkeit, Geist, Materie, Handeln, Zen-Meditation und
Dōgens Kapitel zum Herz-Sūtra aus dem Shōbōgenzō:

Autoren: G. W. Nishijima und Yudo J. Seggelke

Eine klare kompakte Beschreibung des Zen-Buddhismus: gut verständlich, modern, direkt.
Keine verwirrenden Widersprüche und Irrationalitäten.

Dieses Buch ist von hohem Wert: Es enthält das wesentliche Denken und die tiefe spirituelle Erfahrung von Nishijima Roshi, einem des größten buddhistischen Meister des zwanzigsten Jahrhunderts. Es ist auch sein großes Vermächtnis für die Gegenwart und Zukunft des Buddhismus.

Dazu passt die Beschreibung des Herz-Sutra nach Meister Dogen, das als der Kern des Mahayana-Buddhismus gilt, also einer Zusammenfassung vieler umfangreicher Schriften aus dieser großen kreativen buddhistischen Epoche.


Dieses Buch gibt es als Hardcover-Druck und als E-Book (sehr preiswert).
Zum Beispiel im Internet bestellen:


Montag, 2. Februar 2015

Kapitel 20 Untersuchung der umfassenden Gesamtheit (Samagri pariksa), Nagarjuna, MMK

Teil 2 von Kap. 20

Vers 11
Was jetzt verborgen ist, hat die Möglichkeit sich als verschiedenartige Dinge und Phänomene zu manifestieren, wenn wir die Idee des Ergebnisses haben. Dies setzt aber die lineare Zeit voraus, die nach buddhistischer Vorstellung aber keine Wirklichkeit ist. Die Vernunft kann nicht erst in die Welt gebracht werden, da sie schon immer existiert unabhängig davon ob etwas sichtbar oder unsichtbar ist.

Die Tatsache im gegenwärtigen Augenblick ist wirkliche Realität und enthält Ergebnis und Vernunft als integrierte Einheit. Dagegen ist die Vergangenheit keine Wirklichkeit, sondern die Repräsentation früherer Informationen im Gehirn.

Vers 13
Wir haben immer die Wahl, ein Ergebnis, obgleich es nur eine Idee ist, der Wirklichkeit vorzuziehen. Eine Idee ist nicht Teil der Wirklichkeit, sondern nur Information in unserem Gehirn.

Wenn man sich nicht auf die Vergangenheit verlässt oder was früher entstanden ist, kann das umfassende einheitliche Verständnis überall gefunden werden.

Vers 14
Wenn wir uns auf unsere umfassende klare Intuition verlassen und ein umfassendes Verständnis haben, können wir sowohl Vernunft als auch Ergebnis auf der Basis von Wirklichkeit denken. Dann ist es möglich, dass sogar unser abstraktes Denken realistisch ist. Das ist das voll integrierte Verständnis.

Vers 15
Die Vernunft ist mehr als die Ansammlung von vereinzelten Dingen und die Vernunft erzeugt kein Ergebnis, soweit dies auf der Vorstellung getrennter Dinge basiert. Ergebnis ist eine Abstraktion und daher fundamental von der Wirklichkeit unterschieden.

Vers 16
Auch im Zustand des Gleichgewichts bleibt ein Ergebnis eine Vorstellung und ein Konzept und nicht die Wirklichkeit. Ergebnis ist also nicht von der wirklichen Welt erzeugt.

Vers 17
Der Zustand des Gleichgewichts und der Selbststeuerung kann nicht künstlich aus Ideen und Vorstellungen entstehen. Im unausgeglichenen Zustand kann sich das Ergebnis also nicht manifestieren in der wirklichen Welt. Die unbalancierten Zustände werden sich daher in der Welt fortsetzen.

Der Zustand der Selbststeuerung kann erkannt werden, aber auch die Zustände ohne Gleichgewicht setzen sich in der Welt fort.

Vers 18
Der Zustand des Gleichgewichts ist die Wirklichkeit im gegenwärtigen Augenblick. Wegen der Kürze des Augenblicks entsteht das Gleichgewicht nicht und es vergeht nicht, es ist einfach gegenwärtige Realität. Vergangenheit und Zukunft sind daher etwas anderes als der gegenwärtige Augenblick und der Zustand des Gleichgewichts.

Vers 19
Vernunft und Ergebnis sind fundamental unterschieden, aber auch die Vernunft hat eine Beziehung zu mentalen Funktionen. Obgleich also Ergebnis und Vernunft fundamental unterschieden sind, haben sie doch eine Beziehung miteinander.

Vers 20
Da Ergebnis und Vernunft beide eine Beziehung zu mentalen Funktionen haben, sind sie das, was erzeugt und das was erzeugt wird. Wenn Ergebnis und Vernunft getrennt sind, bedeutet dies die Verbindung von Vernünftigen und Unvernünftigen. Beide haben dann eine Beziehung zu einander.

Vers 21
Wenn die zugesetzte Bedeutung des Ergebnisses überwiegt, weil die konkreten Tatsachen zu sehr mit der subjektiven Existenz verbunden sind, kann die Vernunft nichts ausrichten. Dann überwiegen Glauben, Abhängigkeit und Anhangen über die an sich vorhandene große Fähigkeit des Vernünftigen.

Vers 22
Wenn noch nichts entstanden ist, kann auch das Vernünftige nicht erscheinen.
Wenn das Vernünftige sich noch nicht manifestiert hat, kann auch ein Ergebnis nicht existieren.

Vernunft ist nicht etwas, das von der wirklichen Welt getrennt ist.

Vers 23
Die Welt basiert auf der Vernunft als einer verlässlichen Tatsache. Dadurch kann niemals die Atman-Seele erzeugt werden. Die Welt beruht überhaupt nicht auf einer isolierten Atman-Seele. Wie kann auch ein Ergebnis überhaupt erzeugt werden, in der Welt, die durch das Umfassende und Einschließliche erzeugt wurde. Die integrative Vernunft ist also fundamental für die Welt.

Vers 24
Ergebnisse werden weder durch das umfassende Einschließliche erzeugt und was durch dieses nicht erzeugt ist, ist auch kein Ergebnis.

Aber Ergebnisse haben eine große Bedeutung in der Welt unabhängig davon, ob sie der Wirklichkeit entsprechen oder nicht. Es geht also darum auch Ergebnisse und angestrebte Ziele mit fundierter Vernunft anzugehen.

Dienstag, 29. April 2014

New Zen Blog in English

Dear Zen-friends around the globe, liebe Zen-Freunde

I started a new blog about Zen in English, especially of the famous works of Master Dogen and Master Nishijima.
The main principle is: giving to you understandable and authentic descriptions and commentaries, in the beginning of important chapters of the Shobogenzo .

Here the link to "Zen Core Treasury...":
http://dogen-yudo.blogspot.de/  

With best wishes
Yudo

Samstag, 8. Februar 2014

Nishijima Roshi ist gestorben

Liebe Freundinnen und Freunde,

leider muss ich mitteilen, dass mein großer buddhistischer Meister, Lehrer und Freund Nishijima Roshi kürzlich gestorben ist.
Ich bin in tiefer Trauer aber gleichzeitig von großem Dank erfüllt; ich habe ihm so viel zu verdanken!
In seinem Sinne will ich die Texte zum Mittleren Weg von Nagarjuna in Deutsch fortsetzen, daran lag ihm sehr viel.

Yudo J. Seggelke

Dienstag, 28. Januar 2014

Kapitel 20 Untersuchung der umfassenden Gesamtheit (Samagri pariksha) Nagarjuna, MMK, Teil 1


Aus meiner Sicht sind fast alle philosophischen Systeme nur intellektueller Natur und vernachlässigen das praktische Handeln, die Erfahrung, das menschliche Erleben und nicht zuletzt das Gleichgewicht und die intuitive Klarheit des Buddhismus. Den Buddhismus nenne ich daher die Philosophie der umfassenden Wahrheit im Gegensatz zur intellektuellen Philosophie des Denkens und der Sprache im herkömmlichen Sinne.

Besonders die westliche Philosophie basiert auf dem intellektuellen Denken oder der Sinneswahrnehmung, die aber letztlich auch ihre Grundlage im intellektuellen Verständnis des Gehirns hat. Wir müssen aber den Bereich des Intellekts überschreiten und die Erfahrung, das Handeln und vor allem das meditative Gleichgewicht einbeziehen, um zu einer Philosophie der umfassenden intuitiven Vernunft und Klarheit zu gelangen. Dies ist für die moderne jetzige Gesellschaft von zentraler Bedeutung, und aus meiner Sicht ist die Zeit jetzt reif dafür, um die gravierenden Missverständnisse zwischen Theorie und Praxis zu überwinden.

Das umfassende intuitive Verstehen aus unserer menschlichen Mitte und Balance, ist der Kern der buddhistischen Lehre. Dabei ist vor allem zwischen der wahren umfassenden Vernunft und den angestrebten Zielen und Ergebnissen zu unterscheiden, die dem Bereich der Ideen und des Intellekts angehören.

Vers 1
Für ein umfassendes Verständnis der Welt und unseres Lebens ist es notwendig, dass die intuitive Vernunft als Teil der Vier Edlen Wahrheiten Buddhas wirksam ist. Die umfassende Intuition ist wesentlicher Inhalt der Wirklichkeit und zentral für die buddhistische Lehre. Die intuitive Vernunft übersteigt intellektuelles Denken bei weitem und ist unbedingt notwendig, um essentielle Zusammenhänge und Wahrheiten im psychischen und vor allem spirituellen Bereich zu erfassen.

Demgegenüber haben Ergebnisse, die durch unser Bewertungs-Denken gekennzeichnet sind, nur eine untergeordnete Bedeutung. Aus meiner Sicht besteht der Unterschied zwischen der Wirkung nach dem Kausalgesetz und dem angestrebten und gedachten Ergebnis genau darin, dass die Wirkung intellektuell und emotional unbewertet also einfache Realität ist, während das Ergebnis genau durch Denken und Emotionen, z. B. Gier, gekennzeichnet werden kann.

Vers 2
Die Vernunft durchdringt die Vierfache Edle Wahrheit der Welt und des Lebens und dadurch gibt es das intuitive Begreifen, das über intellektuelles Denken hinausgeht.

Wenn wir klar erkennen und überwinden, dass angestrebte Ergebnisse nur dem intellektuellen Denken entspringen und benutzt werden, um ein oft vordergründiges Verstehen der undurchsichtigen Situationen der Welt zu ermöglichen, hat das intuitive Begreifen durch die Vernunft sich verwirklicht.

Vers 3
Wenn wir uns über das intuitive Erfassen und Begreifen der Wirklichkeit im Klaren sind gibt es keinen Raum für bewertende und meist fehlerhafte erstrebte Ergebnisse.

Die Philosophie der umfassenden buddhistischen Wahrheit muss von der Intellektualität in der weltlichen Kultur unterschieden und darf nicht vermischt und verwechselt werden. Bei einer solchen fälschlichen Vermischung kann die umfassende Wirklichkeit nicht mehr erkannt werden.

Vers 4
Die Vorstellungen und Konzepte der Vier Edlen Wahrheiten und die Konzepte der der Vernunft sind etwas anderes als die Wirklichkeit.

Demgegenüber gibt es das ganzheitliche intuitive Erfassen die Wirklichkeit, in der die Vernunft auch und gerade die gesamte Vierfache Wahrheit durchdringt. Das ganzheitliche Erfassen unterscheidet sich fundamental von vorgestellten Ergebnissen.

Vers 5
Für ein bestimmtes Ergebnis werden oft scheinbare Gründe und eine scheinbare Logik behauptet; die wirklichen Zusammenhänge werden dabei unterdrückt.

Daraus entsteht eine Situation des gespaltenen Geistes: Es gibt einmal die wirklichkeitsgetreue Verbindung zu den verursachenden Faktoren und zum anderen eine Scheinlogik, die aber nicht der Wirklichkeit entspricht.

Nâgârjuna ist der festen Überzeugung, dass die Natur und die Welt von Vernunft durchdrungen und von ihr gesteuert werden. Eine Scheinlogik, die vom menschlichen Geist fälschlich erdacht wurde, entspricht aber nicht dieser Wirklichkeit.

Vers 6
Die Wirkung der Vernunft in der Welt ist unabhängig von den individuellen Menschen, die in derselben Situation oft ganz unterschiedliche logische Verknüpfungen für richtig halten. Sie sind dann fest davon überzeugt, dass dies die Wahrheit sei, aber das ist nicht richtig und nur subjektiv.

Insbesondere wird die wahre Vernunft nicht von solchen Ergebnissen gesteuert, die den Menschen angenehm oder unangenehm erscheinen.

Die wahrte Vernunft wird im Zustand des Gleichgewichtes erkennbar. Sie wird nicht durch die Emotionalität und durch Affekte beeinflusst.

Ein angenommenes oder abgelehntes Ergebnis erzeugt in dem menschlichen Geist oft eine falsche logische Kette, sodass die wirklichen Ursachen und Zusammenhänge verdeckt werden.

Vers 7
Wenn wir in der Lage sind, ganzheitlich intuitiv zu erkennen und zu erfassen, können wir klar sehen, dass Ergebnisse die Erfindungen des Denkens und der Emotionen sind.

Die wirklichen Zusammenhänge ergeben sich aus der wahren Vernunft, die als Kraft in der Welt wirksam ist. Unser menschlicher Geist erkennt diese Kraft als Gerechtigkeit, Wahrheit, Gott, usw.

Vers 8
Bevor die ganzheitliche intuitive Vernunft verwirklicht ist, kann es so scheinen, als ob das Ergebnis die Wirklichkeit ist. Zweifellos sind gewöhnliche Menschen ohne die genannte geistige Klarheit dieser Meinung, meist ohne sich dessen bewusst zu sein.

Wenn die Vernunft im Gleichgewicht der Mitte ist, wird klar, dass Ergebnisse nicht aus der reinen Vernunft abzuleiten sind, sondern gerade irrational sind.

Vers 9
Wenn wir Ergebnisse mit der Vernunft analysieren und selbst im Gleichgewicht sind, können wir erkennen, was Wirklichkeit und was Einbildung und Ideen sind. Dann können Vernunft und die so durchschauten Ergebnisse nebeneinander bestehen.

Schon bevor die Vernunft sich durchgesetzt hat, ist sie in einem gewissen Umfang wirksam und wir haben eventuell schon ein Gefühl dafür, ob bestimmte Ergebnisse mit der Vernunft im Widerspruch sind oder nicht.

Vers 10
Abgelehnte Ergebnisse verlieren ihre Bedeutung im Zustand des Gleichgewichts auf dem Mittleren Weg.

Die Vernunft ist niemals von subjektiven Fixierungen abhängig. Sie kann zwar vorübergehend durch den fehlgeleiteten Geist unterdrückt werden aber der Mensch befindet sich dann nicht im Gleichgewicht und besitzt keine ganzheitliche intuitive Vernunft.

Wenn intensiv angestrebte Ergebnisse fehlschlagen und nicht erreicht werden, kommt es oft zu Depressionen und sehr negativen Emotionen. Die Menschen fühlen sich dann als Verlierer und verlieren ihr Selbstwertgefühl. Im Zustand des Gleichgewichts treten allerdings solche Wirkungen nicht auf.

Wenn wir Erfolge haben und die angestrebten Ergebnisse erreichen, ist es sicher zu begrüßen, befreit aber den Menschen nur sehr begrenzt. Die Vernunft als geistige Klarheit ist von solchen Erfolgen unabhängig.

Samstag, 28. Dezember 2013

Kapitel 19 Untersuchung der Zeit (Kala parikasha) Nagarjuna, MMK

Die wirkliche existentielle Zeit des Buddhismus ist in der Theorie und Praxis von sehr großer Bedeutung. Auch in der modernen Physik ist das Verhältnis von Zeit und Raum von zentraler Bedeutung. Diese Kenntnisse standen den Buddhisten zur Zeit Nagarjunas natürlich noch nicht zur Verfügung, aber die großen Meister hatten eine tiefe intuitive Einsicht, was die existentielle Zeit, die Sein-Zeit für den Menschen und die Welt ist.

Der Buddhismus hat als wesentliche Grundlage die Wirklichkeit des wahre Handelns im gegenwärtigen Augenblick. Dies ist die wahre Zeit der Existenz. Weder die Vergangenheit noch die Zukunft lassen das Handeln in der Wirklichkeit zu. Sie sind lediglich Erinnerungen und Widerspiegelungen in unserem Gehirn. Ich bezeichne sie als lineare Zeit. Für organisatorische und technische Fragestellungen und Aufgaben ist die lineare Zeit sicher ein wichtiges Hilfsmittel, aber für die wesentlichen Bereiche der existenziellen Wirklichkeit, nicht zuletzt in der spirituellen Erfahrung, ist der gegenwärtige Augenblick wichtiger als alles andere.

Gegenüber dem wahren erlebten Augenblick ist eine Zeitangabe mit dem Begriff „Gegenwart“ sehr viel abstrakter und ungenauer. Daher zähle ich die Vorstellung der Gegenwart wie die Vergangenheit und Zukunft zur linearen Zeit und nicht zur Existenz-Zeit.

Im Shôbôgenzô von Meister Dôgen gibt es ein gesondertes Grundlagen-Kapitel zur Sein-Zeit mit der japanischen Bezeichnung Uji, wobei U die Existenz und ji die Zeit bedeutet. In Vers 6 dieses Kapitels kommt Nagarjuna viele Jahrhunderte früher auf die gleichen existentiellen Aussagen über die wahre Zeit wie Dôgen.

Vers 1
Nagarjuna nennt die Vergangenheit eine Zeit, in welcher der gegenwärtige Augenblick noch nicht da ist. Wenn der gegenwärtige Augenblick angekommen ist, wird die Vergangenheit zur Erinnerung in unserem Gehirn und das ist eine unvollständige Repräsentation dessen, was in der Vergangenheit wirklich gewesen ist. Die Augenblicke in der Vergangenheit waren Wirklichkeit, aber die Erinnerung daran ist es nicht.

Vers 2
Der gegenwärtige Augenblick hat Stabilität und Wirklichkeit. Dagegen gibt es für die Vergangenheit viele Unsicherheiten und wir können nie ganz sicher sein, was wirklich in der Vergangenheit gewesen ist.

Die instabile Situation in der Vergangenheit kann auch mit Worten niemals genau beschrieben werden.

Vers 3
Nagarjuna nennt die Vergangenheit jene „Zeit wenn der gegenwärtige Augenblick noch nicht angekommen ist“. Der gegenwärtige Augenblick ist dagegen die wirkliche Zeit, während die Vergangenheit nur ungenau gedacht und erinnert werden kann.

Das gebräuchliche Konzept der linearen Zeit kann für die Wirklichkeit nicht verwendet werden.

Vers 4
Handeln ist die Grundlage für die wirkliche Welt hier auf der Erde und für die gedachte abstrakte Welt, die oberhalb der wirklichen Welt ist. Beide Welten bewegen sich durch Handeln.

Im Handeln des Augenblicks verschwinden Bewertungen wie das Höchste oder das Niedrigste und das Mittlere. Sie werden zu einer Einheit.

Vers 5
Was wir üblicher Weise als Zeit verstehen, ist die Kontinuität von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft. Ohne diese Kontinuität ist das Konzept der Zeit im üblichen Sinne sinnlos. Ohne die Kontinuität und Linearität gibt es überhaupt kein Konzept der Zeit.

Konkrete Erfahrungen gibt es aber nur im gegenwärtigen Augenblick. Sie können als Wirklichkeit erfasst werden. Demgegenüber kann Vergangenheit und Zukunft nicht wirklich erfasst werden, weil es sich nur um Erinnerungen und Erwartungen für die Zukunft handelt. Die wirkliche Sein–Zeit im Augenblick kann aber mit dem Verstand nicht gedacht werden.

Vers 6
Die wirkliche Zeit, also der gegenwärtige Augenblick, ist unauflösbar mit der wirklichen Existenz verbunden. Ohne Sein-Zeit gibt es keine Existenz und umgekehrt.

Daher ist es ausgeschlossen, dass die Existenz sich von der Zeit entfernt, also unabhängig von ihr ist. Alle Ideen über die Zeit sind dagegen abstrakt und keine konkrete Wirklichkeit.


Außerhalb des gegenwärtigen Augenblicks kann es keine Existenz geben. Wenn es keine wirkliche Existenz gibt, kann es auch keine wirkliche Zeit geben.

Mittwoch, 4. Dezember 2013

Kapitel 18 Untersuchung der unveränderlichen Seele nach dem alten indischen Glauben, Atman (Atma pariksha) Nagarjuna, MMK


Der Glaube an einen ewigen Seelenkern, der im alten Indien Atman genannt wurde, wurde von Gautama Buddha abgelehnt. Auch Nagarjuna kritisiert die Atman – Lehre in diesem Kapitel.

Vers 1
Die fünf Komponenten des Menschen (Skandas) entstehen, dauern an und vergehen nach der buddhistischen Lehre. Wenn die Atman – Seele in gleicher Weise existieren würde, müsste sie auch diese Eigenschaften haben.

Auch das Universum besteht aus den fünf Skandas. Wenn es eine Atman – Seele gäbe, müsste die sich jedoch von den Skandas unterscheiden, aber das ist nicht möglich.

Vers 2
Nagarjuna beschreibt hier die Atman – Seele als Erfindung und Fantasie.

Wenn man sich selbst ablehnt, bedeutet dies, dass man sich opfert. In diesem Sinne hatte Gautama Buddha extreme Askese geübt, aber dabei die Einheit seines Geistes verloren.

Nagarjuna beschreibt, dass sich eine Art Urseele mit einer anderen in der Askese treffen soll, aber beide dabei zugrunde gehen. Dies sei ähnlich der Situation, in der man sich selbst opfert.

Vers 3
Sich für etwas Wichtiges und einen anderen Menschen einzusetzen bedeutet aber, dass wir unser kleines Ego opfern. Das ist eine Wirklichkeit des selbstlosen Handelns, die im Buddhismus sehr wichtig ist.

Ein solches Handeln kann sichtbar oder unerkannt sein. Beim wahren Bodhisattva – Handeln gibt es kein Streben nach Vorteil für sich selbst und keine ostentative Darstellung des Handelns.

Vers 4
In diesem Vers wird herausgearbeitet, dass die Worte „ich“, „mein“ usw. suggerieren, dass wir uns selbst von außen sehen. Wir trennen dann in ein Ich ab, das ein anderes Ich von uns selbst wie von außen beobachten kann.

Dies ist natürlich eine fehlerhafte Hilfskonstruktion. In Wirklichkeit gibt es nur eine Einheit, die im Zustand des Gleichgewichtes verwirklicht wird.

Vers 5
Im täglichen Leben und auch in der Praxis des Samadhi (Zazen) gibt es Schmerzen und Leiden. Aber durch die buddhistische Praxis erreichen wir einen völlig freien Zustand. Dieser ist gewissermaßen die Umkehr der Schwierigkeiten in der Praxis.

Im Zustand des Gleichgewichtes wird die abstrakte Vorstellung von der sichtbaren Welt aufgelöst und durch die Wirklichkeit ersetzt.

Vers 6
Wer an eine Atman – Seele glaubt, unterteilt die Welt in die eigene Seele und den Rest der Welt. Es ist realistischer und besser, beides in Frage zu stellen und nicht als Wirklichkeit anzusehen.

Ein solches Konzept erleichtert den Umgang mit der Wirklichkeit in unserem Leben nachhaltig gegenüber der Vorstellung eines dauerhaften Seelenkerns nach der Lehre des Atman.

Vers 7
Abstrakte Vorstellungen und Welten können den menschlichen Geist in gewissem Umfang beruhigen und besänftigen. Aber sie sind nicht die Wirklichkeit und nicht stabil.

Im Zustand des Gleichgewichts zeigt sich demgegenüber die wahre Welt in ihrer ganzen Ruhe, Ausgeglichenheit und Schönheit, und wir sind ein Teil von dieser Welt. In der Balance werden wir nicht gestört und beunruhigt.

Vers 8
Die Wirklichkeit dieser Welt lässt sich rein intellektuell nicht beweisen und auch nicht verneinen. Deshalb hat Gautama Buddha die Frage, ob wir die Existenz der Welt mit dem Verstand erfassen können, als unsinnig beiseite gelassen.

Im Buddhismus ist es klar, dass es eine Einheit zwischen Körper und Geist gibt, und ein isolierter Geist kann die wahre Existenz oder das Gegenteil überhaupt nicht erfassen.

Vers 9
Die im Kapitel 1 genannte Vierfache Wahrheit manifestiert sich im Gleichgewicht und in Ruhe. Sie ist nicht außergewöhnlich und erfreulich. Was nicht gesehen werden konnte, wird sichtbar werden.

Die ursprüngliche Existenz gibt es wirklich, sie kann nicht durch etwas anderes verändert werden. Sie hat ihre eigenen Charakteristika der Wirklichkeit: Die Wirklichkeit der Welt ist so, wie sie ist

Vers 10
In dieser Welt hat jedes einzelne Ding seine besondere und eigene Existenz und setzt sie ohne Unterbrechung fort. Es kann niemals identisch mit etwas anderem sein. Im gleichen Sinne hat jeder Augenblick eine eigene Entität und unterscheidet sich vom anderen.

Ohne die vollständige Trennung jedes Augenblicks vom anderen kann die Ewigkeit nicht existieren.

Vers 11
Diese Welt hat nicht mehr als ein Ziel und hat nicht mehrere Ziele. Sie ist niemals unterbrochen und niemals ewig.

Solche Sichtweisen könnten die Wirklichkeit nicht angemessen erklären.

Nagarjuna sagt hier, dass die wirkliche Welt nicht den Göttern gehört. Das Universum ist nichts Übernatürliches: das sagen alle Buddhas.

Vers 12
Die Idee der Atman – Seele gibt es nicht bei denen, die Buddhas genannt werden und auch nicht bei denen, die Shravakas (direkte Schüler und Hörer Buddhas) genannt werden.

Auch bei den Buddhas, die aus sich selbst erwacht sind, wird das Problem der Atman – Seele als theoretisch angesehen.

Nagarjuna zählt hier also die drei in den frühen Sutras genannten Formen der Heiligen und Erwachten auf: die Buddhas selbst, die von ihnen unmittelbar Lernenden und die aus sich selbst Erwachten.