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Meister Nishijima praktiziert Buddhismus seit über 60 Jahren. Er war Schüler von Meister Kodo Sawaki, einem japanischen umherziehenden Priester, der berühmt dafür war unermüdlich zu betonen, dass die Praxis des Zazen ihren richtigen zentralen Platz im Buddhismus erhält und der selbst intensiv praktizierte. Meister Nishijima wurde von Meister Renpo Niwa als Priester ordiniert, der später als Abt den Zentraltempel des Soto-Buddhismus leitete. Nishijima Roshi hat viele Bücher über Buddhismus u.a. von Dogen sowohl in Japanisch als auch in Englisch geschrieben. Über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren hat er in Japanisch und Englisch viele Vorträge gehalten, Seminare und Sesshins geleitet sowie genaue Anweisungen zum Buddhismus und vor allem zum Zazen gegeben. Deutsche Fassung: Yudo J. Seggelke

Mittwoch, 31. Januar 2007

Die vier Lebensphilosophien des Buddhismus

1. Leiden, Ansammlung, Selbststeuerung und Moral.

Ich habe bereits ausgeführt, dass die Lehren Gautama Buddhas grundsätzlich auf dem Realismus beruhen, der die Wahrheit des Universums ist und die Verschmelzung unseres wirklichen Handelns mit der wirklichen Existenz des Universums im gegenwärtigen Augenblick darstellt. Dies ist die fundamentale Grundlage der Lehren Gautama Buddhas. Darauf aufbauend hat er die folgenden wichtigen buddhistischen Grundsätze gelehrt: die vier Lebensphilosophien, das Gesetz von Ursache und Wirkung, die Augenblicklichkeit des Universums und die wirkliche Existenz der Moral.
Von diesen Grundsätzen Gautama Buddhas sind die vier Lebensphilosophien besonders wichtig, sie sollen nun genauer erklärt werden und lauten wie folgt:
a. Lehre vom Leiden (duhkha satya)
b. Lehre von der Ansammlung (samudaya satya)
c. Lehre von der Selbststeuerung (niroda satya)
d. Lehre der Moral (margha satya).
Diese Grundsätze und Lehren gab es über hundert Jahre lang nach Gautama Buddhas Tod in mündlich überlieferter Form. Sie wurden in der Zeit des Hinayana-Buddhismus m.E. nur in vereinfachter Interpretation gelehrt. Diese vereinfachten Texte und Deutungen sind in den Hinayana-Sutras, z.B. in dem Agama-Sutra wiedergegeben. Sie besagen in dieser Fassung etwa Folgendes:
- Die Lehre vom Leiden, die oft so interpretiert wird, dass die Welt immer leidvoll ist.
- Die Ursache des Leidens ist einfach die Begierde.
- Wenn wir die Begierde beenden,
- wird ein glückliches Leben kommen.
Als ich diese üblichen Interpretationen zuerst studierte, kam ich zu dem klaren Schluss, dass ich diese doch sehr einfachen Erklärungen nicht annehmen konnte. Zunächst überlegte ich, ob diese Welt immer leidhaft ist oder nicht. Es wurde mir klar, dass die Welt und das Leben zwar manchmal leidhaft sind, aber manchmal auch angenehm und glücklich. Da das Leben und die Welt nicht immer leidbehaftet sind, konnte auch die zweite Aussage nicht immer richtig sein. In Bezug auf die dritte Lehre hatte ich ernsthafte Zweifel, ob es überhaupt möglich und sinnvoll sein könne, „normale“ Begierden, soweit sie nicht übertrieben stark sind, zu unterdrücken. Bei der vierten Lehre hatte ich Zweifel, ob es so einfach ist, die Moral z.B. durch einen geistigen Vorgang zu verwirklichen. Insgesamt konnte ich mich mit diesen Interpretationen, die im Zeitalter des Hinayana-Buddhismus benutzt wurden, überhaupt nicht einverstanden erklären. Als ich dann den Shobogenzo studierte, der im 13. Jahrhundert als hervorragende Sammlung buddhistischer Lehren von dem buddhistischen Mönch Meister Eihei Dogen verfasst wurde, fand ich das außerordentlich tiefgründige und wesentliche Kapitel mit der Bezeichnung "Das verwirklichte Universum" (Genjo Ko-an). In der kleineren Ausgabe von 75 Kapiteln des Shobogenzo ist dieses das erste und damit von großer Bedeutung. In der größeren Fassung von 95 Kapiteln steht es als drittes, also ebenfalls am Anfang. Schon durch diese Anordnung des Kapitels “ Das verwirklichte Universum“ in beiden Ausgaben des Shobogenzo wird deutlich, dass es eine außerordentliche Bedeutung als Einführung für das gesamte Werk und den Buddhismus überhaupt hat. Ich möchte daher die Bedeutung dieses Kapitels im Folgenden erläutern.

2. Die vier Lebensphilosophien bei Meister Dogen
Der erste Absatz von “Das verwirklichte Universum“ im Shobogenzo lautet wie folgt:
“Wenn alle Dharmas als Buddha-Dharma (-Lehre gesehen werden), dann gibt es Illusion und Verwirklichung, gibt es Praxis und Handeln, gibt es Leben und Tod und gibt es Buddhas und gewöhnliche Menschen.
Wenn die unzähligen Dharmas alle nicht vom Selbst sind (und so gesehen werden), gibt es keine Illusion und keine Verwirklichung, keine Buddhas und keine gewöhnlichen Menschen und kein Leben und keinen Tod.
Die Wahrheit Buddhas übersteigt ursprünglich Überfluss und Knappheit und daher gibt es Leben und Tod, gibt es Illusion und Verwirklichung und gibt es gewöhnliche Menschen und Buddhas.
Und obgleich dies so ist, ist es nur, dass die Blüten fallen, obwohl geliebt und das Unkraut wuchert, obwohl ungeliebt.“
Beim genauen Lesen dieser vier Sätze können wir erkennen, dass jeweils vier verschiedene Methoden oder Lebensphilosophien dargestellt werden. Im ersten Satz wird klar gestellt, dass zwischen Illusion und Verwirklichung, zwischen Praxis und Handeln, zwischen Leben und Tod und zwischen Buddhas und gewöhnlichen Menschen unterschieden wird, wenn alle Dinge und Phänomene, also die Dharmas, auf der Grundlage einer idealistischen Methode des Denkens ausgedrückt und in der Lehre des Buddha-Dharma gedacht werden.
Im zweiten Satz wird dagegen eine andere Grundlage und Methode des Denkens gewählt. Es handelt sich hier um den vollkommen materialistischen Standpunkt, der wörtlich durch: "... alle nicht vom Selbst sind" gekennzeichnet ist. Dann gibt es überhaupt keinen Unterschied zwischen Illusion und Verwirklichung, Buddhas und gewöhnlichen Menschen oder Leben und Tod. Mit anderen Worten können ohne die subjektive Sicht die Bedeutungen dieses Unterschiedes gar nicht erkannt und gesagt werden, denn aus materialistischer Sicht kann man z.B. nicht von Illusion oder Verwirklichung, von Buddhas und normalen Menschen usw. sprechen.
Der erste und zweite Satz geben demnach die Weltanschauung und Sichtweise des Idealismus und Materialismus wieder und beide fallen in die Gruppe intellektueller verstandesmäßiger Philosophien. Sie sind bekannte Beispiele philosophischer Systeme, die durch Denken und Worte ausgedrückt und verstanden werden. Diese verstandesmäßigen Weltanschauungen und Philosophien sind aber etwas grundsätzlich anderes als die praktischen und wirklichen Dimensionen des obigen dritten und vierten Satzes des Kapitels “ Das verwirklichte Universum“ (Genjo Ko-an) von Meister Dogen.
Ich denke, dass der Buddhismus die einzige Lehre ist, welche die obigen zwei fundamental verschiedenen Lebensphilosophien vereint, auf die wir die vielen verschiedenen philosophischen Systeme in der Welt zurückführen können. Ich bin der festen Überzeugung, dass nur eine so umfassende Lehre wie der Buddhismus, der diese beiden völlig verschiedenen Grundlagen und Sichtweisen integriert, überhaupt in der Lage ist, das Ziel der Wahrheit zu erreichen. Anders gesagt, auch der Buddhismus kann den Weg zur Wahrheit nur zeigen, wenn er alle vier Lebensphilosophien miteinander verbindet und dies hat er zum ersten Mal in der menschlichen Geschichte geleistet. Gautama Buddha fand diese Wahrheit im 6. und 5. Jahrhundert vor Christus. Eventuell könnte jemand behaupten, dass die Theorie der vier Lebensphilosophien nur von dem japanischen Meister Dogen entwickelt wurde. Wenn wir jedoch den historischen Zusammenhang im Auge behalten, ist es wirklich unmöglich zu denken, dass Meister Dogen und auch Meister Nagarjuna ohne die vorherige Existenz von Gautama Buddha diese Wahrheit hätten lehren können.
Meister Dogen sagt daher im obigen dritten Satz, dass Buddhas Wahrheit ursprünglich den Überfluss und die Knappheit überschreitet und dies bedeutet nichts anderes, als dass die buddhistische Wahrheit relative Vergleiche sowohl der verstandesmäßigen Dimension als auch der materiellen Messbarkeit überwindet. Die Bedeutung des dritten Satzes gehört in den Bereich des Handelns oder der Wirklichkeit. In einem solchen Zusammenhang konnte Meister Dogen klar sagen, dass es die wirkliche Existenz tatsächlich gibt, dass weiterhin das wirkliche Auslöschen, die Illusion, die wirkliche Erleuchtung, die gewöhnlichen Menschen und die wirklichen Buddhas, welche die Wirklichkeit erlangt haben, alle real vorhanden sind. Dies ist die Grundlage des buddhistischen Realismus.
Entsprechend wird im vierten Satz von Meister Dogen der Bereich der Philosophie ganz verlassen und die Wirklichkeit selbst direkt beschrieben. Dies wird durch die folgende Formulierung ausgedrückt: “ Und obgleich dies so ist, ist es nur, dass die Blüten fallen, obwohl geliebt und das Unkraut wuchert, obwohl ungeliebt“.
Diese Aussage bedeutet nichts anderes, als dass die Wirklichkeit ganz genau die Wirklichkeit selbst ist, ob wir dies mögen oder nicht. Meister Dogen verwendet für die vier Lebensphilosophien also eine Gliederung und Struktur von vier Begriffen: Idealismus, Materialismus, Handeln und Wirklichkeit.
Die Gliederung aller Kapitel im Shobogenzo folgt ebenfalls der Anordnung dieser vier Lebensphilosophien. Wenn wir diesen Schlüssel zum Verständnis nicht hätten, wären Meister Dogens Aussagen verwirrend, um nicht paradox und unlogisch zu sagen. Wir müssen also davon ausgehen, dass dies auch genau dem Universum entspricht und umgekehrt ist es vollständig unmöglich, die Gesetze des Universums ohne diese vier Lebensphilosophien überhaupt zu verstehen.
Auch in der europäisch-amerikanischen Kultur gibt es in neuerer Zeit eine ähnliche spezielle Methode des Denkens, die als Dialektik bezeichnet wird. Wir können daher sagen, dass die Struktur der vier Lebensphilosophien einer Dialektik in vier Phasen entspricht. Damit wird deutlich, dass mit diesen historischen Tatsachen auch in der europäisch-amerikanischen Kultur eine Dialektik von vier Phasen und damit das Zeitalter des Realismus begonnen hat.
Es wird berichtet, dass Gautama Buddha für seine erste Lehrrede zunächst überlegte, ob er die vier Lebensphilosophien seinen früheren Brüdern des asketischen Lebens erklären könnte. Er hatte vielmehr große Zweifel, ob diese Lehre seinen Zuhörern in der damaligen Zeit überhaupt klar zu machen sein würde. Sie verständlich auszudrücken, würde selbst für ihn als großen Lehrer zu schwierig sein. Wir leben jetzt jedoch im 21. Jahrhundert und sind wesentlich besser geschult auch komplizierte theoretische Zusammenhänge zu verstehen. So haben wir leichteren Zugang zu den vier Lebensphilosophien, die Gautama Buddha uns in seiner großen Güte übermittelt hat. Auf dieser Grundlage kann man es als außerordentlich glücklich bezeichnen, wenn nunmehr die hervorragende europäisch-amerikanische Kultur dem Buddhismus mit seinem großen Erfahrungsschatz begegnet.

3. Die vier Lebensphilosophien als konkrete Tatsachen

Die Lehre von den vier Lebensphilosophien ist nicht nur eine abstrakte Theorie des Buddhismus, sondern sie umfasst die realistischen Tatsachen in unserem täglichen Leben. Ich möchte die vier Lebensphilosophien als wirkliche Tatsachen daher an dem praktischen Beispiel der Planung und Realisierung eines industriellen Unternehmens erläutern:
a). Idealistischer Plan: Am Anfang eines industriellen Unternehmens muss der Unternehmer eine Planung des Gesamtzusammenhangs und seiner eigenen Aufgabe durchführen, die insgesamt Gewinn erbringen sollen. Die Unternehmen der Wirtschaft müssen Überschüsse erwirtschaften, sonst gehen sie Pleite. Aber dies ist natürlich keine leichte Aufgabe. Die modernen Industriegesellschaften unterliegen einem starken Wettbewerbsdruck, und die technologischen Entwicklungen laufen unglaublich schnell ab. Daher ist es eine schwierige Aufgabe, ein lebensfähiges, gewinnbringendes Unternehmen und die entsprechenden Arbeitsplätze zu planen und aufzubauen.
b). Materielle Bedingungen: Wenn jemand optimistisch an eine derartige Aufgabe heran geht, ohne die materiellen Bedingungen und Grundlagen geprüft zu haben, besteht die große Gefahr, dass er die Arbeit nicht fortsetzen kann und scheitert. Weil er nicht in einem romantischen Traum lebt, in dem die Ziele leicht zu erreichen sind, muss er in einer Gesellschaft mit starkem Wettbewerb pragmatisch vorgehen. Er muss daher die tatsächlichen verschiedenen materiellen Gegebenheiten genau prüfen. Wie viel Kapital kann er für seine Investitionen ansammeln? Ist es für ihn möglich und sinnvoll, die für den Beginn seines Geschäfts notwendigen Gebäude sowie den Grund und Boden zu erwerben? Wie ist die Anbindung an das Verkehrssystem für Menschen, Materialien und fertige Produkte? Ist es dem Unternehmer möglich, in der Umgebung Mitarbeiter mit geeigneten Fähigkeiten zu gewinnen? Ist die Versorgung mit Wasser und Elektrizität dort gesichert? Diese Fragen müssen jeweils umfassend und genau angegangen werden. Werden die auftauchenden Probleme vom Unternehmer nicht richtig gelöst, ist es nicht sinnvoll, dass er überhaupt mit seiner Arbeit beginnt. Nur mit einer guten Planung und ausreichenden Prüfungen aller materiellen Bedingungen kann seiner Aufgabe Erfolg beschieden sein. Gibt es noch irgendwelche fehlenden Bedingungen? Alle diese Fragen müssen gut durchdacht sein und angemessen beantwortete werden.
c). Umsetzen in die Tat: Die theoretische Planung und Prüfung der materiellen Bedingungen ist aber nicht die Hauptaufgabe zum Aufbau und Betrieb eines Unternehmens mit seinen Mitarbeitern. Was steht eigentlich an dessen Anfang? In der buddhistischen Lehre schätzen wir die Arbeit und das Handeln außerordentlich. Natürlich sind die theoretischen Überlegungen und Planungen auch wichtig, aber ohne das tägliche Handeln in der Industrie gäbe es nichts, was Produktion genannt werden kann. Die Produktion benötigt die gemeinsame Anstrengung und Kooperation aller, der Leitungsebene, der Direktoren, Mitarbeiter und Arbeiter in jedem Augenblick. Diese Anstrengungen müssen an jedem Arbeitstag erbracht werden und wenn diese Anstrengungen erfolgreich sind und Gewinn erwirtschaftet wird, kann das Unternehmen für die menschliche Gesellschaft sinnvoll arbeiten und Arbeitsplätze halten oder sogar neue schaffen. Ohne Zweifel können wir daher annehmen, dass das Wichtigste in unserem täglichen Leben die Arbeit und das Handeln selbst sind. Die Achtung der Arbeit und des Handelns sind ganz allgemein von größter Bedeutung in unserem täglichen Leben.
d). Achtung der Moral: Wir Buddhisten glauben im ursprünglichen Sinn an die wirkliche Existenz der Gesetze des Universums und wir haben den Glauben an die Einheit des Handelns im gegenwärtigen Augenblick mit dem Gesetz der Welt und des Universums. Meister Dogen schrieb im Kapitel 45 des Shobogenzo “Die vier Arten des sozialen Handelns eines Bodhisattvas“ (Bodaisatta-Shishobo) hierzu, dass den Lebensunterhalt zu verdienen und sorgfältig zu arbeiten ursprünglich nichts anderes ist als großzügig zu geben. Daher können wir davon ausgehen, dass unsere Anstrengung durch die Arbeit in einem Industriezweig nicht zuletzt auch einen klaren moralischen Wert haben.

4. Die vier Lebensphilosophien sind wirklicher als der intellektuelle Bereich

Ich schätze den Wert der intellektuellen Philosophien sehr, weil sie wegen ihrer Qualität gegenwärtig vorherrschend sind und sich in so ausgezeichneter Weise in der Weltgeschichte entwickelt haben. Wenn wir daher normalerweise daran denken, was Philosophie eigentlich ist, geht es fast immer um diese vorhandenen intellektuellen philosophischen Systeme. Im Buddhismus vertreten wir demgegenüber eine praktische Lebensphilosophie, die sich von dem reinen Verstand, also dem Intellekt unterscheidet. Wenn wir das Wort “praktische Philosophie“ verwenden, denken die meisten zunächst sicher auch an intellektuelle und verstandesmäßige Lehren. Im Gegensatz dazu verstehen wir im Buddhismus die praktische Lebensphilosophie so, dass sie nicht zu dem Bereich des Verstandes und Intellektes gehört, sondern sich auf die praktische Lehre bezieht. Daher unterscheiden wir im Buddhismus grundsätzlich zwei Arten von Philosophie, einerseits die theoretischen und intellektuellen und andererseits die praktischen und lebensnahen. Diese beiden sind in ihrer Dimension grundsätzlich verschieden.
Wir müssen daher wie folgt interpretieren: Die Philosophie des Leidens, also Idealismus und die Philosophie der Ansammlung, also Materialismus gehören in den verstandesmäßigen und intellektuellen Bereich, während die buddhistischen Lebensphilosophien der Selbststeuerung beim Handeln und der Moral, oder die Lehre der Wirklichkeit, zu den praktischen Philosophien gehören. Mit anderen Worten sollten wir annehmen, dass die Lehre des Leidens und der Ansammlung zu den intellektuellen Philosophien gehört. Bei den vier genannten Lebensphilosophien des Buddhismus wird also der Bereich des Verstandes mit dem der Praxis zu einer Einheit verschmolzen. Die beiden ersten Philosophien sind typisch für die westliche Kultur, während die zweite Gruppe der buddhistischen Kultur angehört. Beide müssen zu einer Einheit verbunden werden, um dem Leben und der Wirklichkeit gerecht zu werden.
Wie ich bereits erläutert habe, gibt es in der europäisch-amerikanischen Kultur eine neue Entwicklung, die wir als Existenzialismus, Philosophie des Lebens, Phänomenologie, Pragmatismus usw. bezeichnen, die ebenfalls eine deutliche Tendenz zum Realismus aufweisen. Ich erwarte daher, dass die westliche Kultur, die bisher weit gehend auf dem Idealismus und Materialismus beruht, sich jetzt in der neueren Zeit nachhaltig einem Realismus zuwendet. Daher besteht die große Möglichkeit, dass durch die Begegnung mit dem Buddhismus ein Zeitalter der Wirklichkeit anbricht. Ich erwarte weiterhin, dass die Lehre der vier Lebensphilosophien eine wichtige und starke Brücke werden wird, welche die großen intellektuellen westlichen Philosophien mit dem Buddhismus der Wirklichkeit verbindet. Damit kann die notwendige Verschmelzung der westlichen intellektuellen Kultur mit dem Realismus des Buddhismus und seiner ihm eigenen Kultur beginnen. Wenn wir diese Verbindung jedoch ablehnen, ist es sehr unwahrscheinlich, dass eine fruchtbare Wechselwirkung der westlichen Kultur mit dem Buddhismus gelingt. Wenn eine solche Verbindung jedoch erfolgreich ist, kann auch das buddhistische Lehrsystem zum ersten Mal als Gesamtstruktur des Lebens und der Welt verstanden werden.
Es wird berichtet, dass Gautama Buddha selbst zögerte und es für unwahrscheinlich hielt, dass seine Lehre der vier Lebensphilosophien in der damaligen Zeit von seinen üblichen Zuhörern verstanden wurde, weil sie zu schwierig und unübersichtlich erschien. Es ist auch wirklich ganz natürlich, dass die meisten Zuhörer die Bedeutung dieser vier Lebensphilosophien zunächst nur schwer verstehen. Dies erscheint selbst heute im 21. Jahrhundert für viele Menschen zu gelten. Trotzdem halte ich für notwendig, und es hat für mich eine ganz wesentliche Bedeutung, dass diese Lehre der vier Lebensphilosophien verstanden wird, um die ganze buddhistische Wahrheit zu begreifen.

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