Über mich

Mein Bild
Meister Nishijima praktiziert Buddhismus seit über 60 Jahren. Er war Schüler von Meister Kodo Sawaki, einem japanischen umherziehenden Priester, der berühmt dafür war unermüdlich zu betonen, dass die Praxis des Zazen ihren richtigen zentralen Platz im Buddhismus erhält und der selbst intensiv praktizierte. Meister Nishijima wurde von Meister Renpo Niwa als Priester ordiniert, der später als Abt den Zentraltempel des Soto-Buddhismus leitete. Nishijima Roshi hat viele Bücher über Buddhismus u.a. von Dogen sowohl in Japanisch als auch in Englisch geschrieben. Über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren hat er in Japanisch und Englisch viele Vorträge gehalten, Seminare und Sesshins geleitet sowie genaue Anweisungen zum Buddhismus und vor allem zum Zazen gegeben. Deutsche Fassung: Yudo J. Seggelke

Samstag, 24. Februar 2007

Die buddhistische Praxis des Zazen

Wegen der großen Bedeutung des Zazen für den wahren Buddhismus werden im Folgenden die wichtigsten Eckpunkte zusammengestellt. Außerdem soll im nächsten Beitrag eine neue genaue Übersetzung mit ausführlicher Erläuterung des authentischen Textes „Allgemeine Richtlinie des Zazen“ (Fukan-Zazen-Gi) von Meister Dogen vorgestellt werden. Das Ganze ergibt also eine wirklich umfassende Beschreibung der Zazenpraxis.

1. Zazen und das altindische Yoga

Zazen ist eine ganz wesentliche Methode der Übungspraxis, die von Gautama Buddha in dieser Form zum ersten Mal im alten Indien angewendet wurde. Allerdings gab es dort schon viele hundert Jahre vorher eine andere besondere Praxis, nämlich Yoga. Die Lehren, die hinter der buddhistischen Praxis einerseits und dem Yoga andererseits stehen, unterscheiden sich jedoch in wesentlichen Bereichen und daher ist es nicht möglich, Buddhismus und Yoga gleichzusetzen.
a) Keine Lösung der Lebensprobleme nur durch Denken
Gautama Buddha erkannte, dass ein starker und damals nicht lösbarer Konflikt zwischen dem Idealismus (Sasvata-drsti) und dem Materialismus (Uccheda-drsti) vorhanden war, den es im Übrigen in fast allen Kulturen gegeben hatte und heute noch gibt. Er war fest davon überzeugt, dass es für den Menschen ganz unmöglich sein würde, überhaupt glücklich und zufrieden zu sein, wenn dieser tief greifende und ernste Konflikt zwischen den beiden entgegen gesetzten Weltanschauungen und Philosophien nicht gelöst werden könnte. Eine solche Lösung dieses schwer wiegenden Problems wurde in der ganzen Geschichte der Menschheit m. E. nur von Gautama Buddha selbst gefunden, und zwar zum ersten Mal. Wir müssen sagen, dass es selbst für Gautama Buddha unmöglich gewesen wäre, hierfür eine Lösung zu finden, wenn er damals nicht alles ihm überhaupt Mögliche geopfert hätte, um diese große Wahrheit für den Menschen zu erlangen.
Zunächst glaubte Gautama Buddha allerdings, dass die Wahrheit mit dem Verstand und durch Denken erreicht werden könnte, also durch geschultes menschliches Denkvermögen. Daher versuchte er zunächst eine solche Methode der damaligen Philosophie und des Denkens anzuwenden. Gautama Buddha besuchte deshalb Meister Alara Kalama und unternahm große Anstrengungen, dessen Gedanken zu verstehen, dass "die Menschen üblicherweise ursprünglich nichts haben". Er erkannte jedoch bald, dass es für niemanden möglich war, auf diesem Weg von dem tief greifenden Leiden im wirklichen Leben geschützt und befreit zu werden. Aber er setzte seine Anstrengungen in dieser Richtung weiter fort und ging zu Meister Udraka Ramaputra, der ihn die Idee lehrte, dass "keiner irgendetwas denken sollte und auch nicht denken sollte, nicht zu denken". Aber auch bei diesem recht anspruchsvollen Versuch konnte Gautama Buddha nicht von all den Schwierigkeiten, die er unbedingt überwinden wollte, befreit werden. Er erkannte daher in aller Klarheit, dass niemand durch irgendeine Art von Denken und Überlegungen gerettet werden könnte, ganz gleich, was für großartige und tief schürfende Gedanken, Überlegungen und Denksysteme es auch sein mochten.
b) Asketisches Leben
Gautama Buddha erkannte also, dass die Menschen niemals durch irgendeine Art von Denken glücklich werden könnten und ihm wurde klar, dass mit Gedanken allein, und seien sie auch noch so klug, das menschliche Glück nicht zu erreichen sei. Daher entschied er sich, einen radikal anderen Weg zu versuchen. Zu Anfang hatte er also geglaubt, dass es für ihn möglich sei, die Wahrheit durch wahres und tiefes Denken zu erlangen. Aber er war damit gescheitert und hatte die eigene bittere Erfahrung machen müssen, dass dies auf der Erde überhaupt nicht möglich ist. Daher wollte er nun mit ganzem Herzen eine andere Methode erproben, die im alten Indien recht bekannt war, nämlich die Askese.
Es gab im alten Indien viele verschiedene Formen der asketischen Praxis und Gautama Buddha ging in jene Wälder, in denen viele Asketen zusammen lebten. Zusammen mit ihnen führte Gautama Buddha ein ehrliches, sehr willensstarkes und hartes asketisches Leben. Weil er die Wahrheit auf der Grundlage dieser asketischen Übungen erlangen wollte, erlaubte er sich selbst nicht den geringsten Kompromiss und die geringste Nachlässigkeit oder irgend einen Kompromiss, und so wird berichtet, dass er mehrfach bei der Praxis bewusstlos wurde. Weil er in seinem äußerst harten asketischen Leben nicht die geringsten Kompromisse einging, gab es, nachdem er das asketische Leben begonnen hatte, mehrfach Gerüchte, dass Gautama Buddha wegen seiner äußerst harten asketischen Praxis gestorben sei. Nachdem er lange Zeit derart unnachgiebig gegen sich selbst praktiziert hatte, erkannte er jedoch langsam, dass es für die Menschen überhaupt unmöglich ist, durch irgendeine Art von Askese in das Gleichgewicht und zu einem erfüllten glücklichen Leben zu gelangen. Daher entschied er eines Tages unvermittelt, sein asketisches Leben vollständig zu beenden. Einige andere Asketen in den Wäldern dachten, dass Gautama Buddha sein asketisches Leben wegen der übergroßen Schmerzen aufgegeben hätte. Daher verlachten ihn dort viele der Asketen aus ganzem Herzen. Aber Gautama Buddha, dem es sehr ernst war, die Wahrheit zu erlangen, hatte dabei überhaupt keine emotionale Reaktionen und keine Gewissensbisse. Er verließ die Wälder ruhig und allein und kümmerte sich nicht um die anderen, denn er war sich ganz sicher, dass er die Erleuchtung, Wahrheit und die Befreiung vom Leiden auf diese Weise nicht erlangen konnte.
c) Praxis des Zazen
Als Gautama Buddha nach Beendigung seines asketischen Lebens sich mühsam mit schweren unsicheren Beinen am Ufer des Flusses Nairanjana entlang schleppte, sah ihn das Mädchen Sujata aus einem nahe gelegenen Dorf. Sie war von seinem elenden Zustand tief berührt und gab ihm mit Milch gekochtem Haferschleim als Stärkung. Gautama Buddha labte sich außerordentlich an einer recht kleinen Portion Haferschleim. Wir können es gut nachempfinden, wie sehr er dies genoss, als er nach den unsagbaren Entbehrungen mit ganzem Herzen die kleine Portion Haferschleim aß. Wir können annehmen, dass er sich voll Staunen fragte: "was ist Nahrung?", "was ist Essen?", "was bedeutet es zu leben?" und "was ist die Wirklichkeit?"
Nach den voran gegangenen gescheiterten Versuchen des philosophischen Denkens und der harten Askese begann für ihn nun ein "ganz normales" Leben.
Aber sein unnachgiebiger Wille, die Wahrheit zu erlangen, war niemals schwach geworden und daher begann er mit einer neuen Praxis. Das war Zazen. Viele Jahrhunderte bevor Gautama Buddha geboren wurde, gab es in Indien bereits sehr spezielle Praktiken, die Yoga genannt wurden. Man konnte dabei recht verschiedenen Arten von Yogahaltungen vor allem im Sitzen unterscheiden. Gautama Buddha wählte davon zwei besonders geeignete Sitzhaltungen aus, den halben Lotussitz oder den ganze Lotussitz. Es wurde gesagt, dass diese beiden die schwierigsten aller damaligen Yogahaltungen waren. Aber Gautama Buddha wählte intuitiv von Anfang an hoffnungsvoll diese schwierigen Haltungen aus und setzte seine Praxis jeden Tag fort. Und nachdem er lange praktiziert hatte, übte er an einem Tag morgens früh Zazen und erblickte die Venus im Osten am Himmel. In diesem Augenblick erfuhr er plötzlich und unerwartet, dass er nicht mehr im Denken und nicht in der Sinneswahrnehmung gefangen war, sondern dass er nur in der Wirklichkeit selbst saß und lebte. Das war es, was er so lange gesucht hatte!
d) Verwirklichung
Diese Erfahrung der Wirklichkeit und Wahrheit ist die wesentliche Grundlage der buddhistischen Lehre überhaupt. Gautama Buddha setzte dann die Praxis des Zazen weiter fort. Vor seiner Zeit glaubten viele Inder an die Religion des Brahmanismus, die eine typische idealistische Philosophie zur Grundlage hatte. Viele Menschen hatten aber auch den Glauben an den Materialismus oder Skeptizismus, der z.B. von den Philosophen gelehrt wurde, die wir als die "sechs nicht-buddhistischen Denker" kennen. Gautama Buddha fand, dass Idealismus allein niemals die Wahrheit sein könne und dass auch Materialismus und Skeptizismus unmöglich die Wahrheit sind. Aber die Wirklichkeit und der Realismus, die er nach der Praxis des Zazen gefunden hatte, waren genau die Wahrheit selbst.
Die verschiedensten Philosophien und Weltanschauungen, die in der Menschheitsgeschichte entstanden waren, lassen sich fast alle auf den Idealismus oder Materialismus zurückführen. Es ist nahezu unmöglich für uns, irgendeine andere Weltanschauung oder Philosophie zu finden, die zum Realismus von Gautama Buddha gehört. Es ist wirklich sehr seltsam, dass wir Menschen, obgleich wir eigentlich immer in der Wirklichkeit leben, diese wichtige Tatsache nicht bemerken können. In diesem Sinne müssen wir für den außerordentlichen Wert des Buddhismus in der menschlichen Geschichte dankbar sein. Wir müssen unbedingt die Lehre der Wirklichkeit und des Realismus studieren, die von Gautama Buddha zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte gefunden und klar entwickelt wurde.

2. Zazen und das vegetative Nervensystem

In der letzten Zeit sind von Medizinern, Psychologen, Physiologen und anderen Wissenschaftlern mit gründlicher wissenschaftlicher Forschung Untersuchungen zur Bedeutung und zum Wesen des Zazen durchgeführt worden. Dabei gibt es eine ganze Reihe von Studien, die als wirklich verlässlich einzustufen sind und veröffentlicht wurden. Als ich selbst vor etwa sechzig Jahren vermutete, dass die Bedeutung und der Inhalt des Zazen mit dem Zustand des vegetativen Nervensystems (auch autonomes Nervensystem genannt) direkt zusammenhängen, war dieser Ansatz äußerst selten. Daher fand ich für meine Vorstellungen damals nur wenig Unterstützung. Trotzdem war ich fest davon überzeugt, dass meine Vermutung einer engen Beziehung von Zazen mit dem vegetativen Nervensystem in geeigneten wissenschaftlichen Untersuchungen erhärtet werden könnte, wenn diese von ausgezeichneten Wissenschaftlern sorgfältig durchgeführt würden. Ich war wirklich sehr optimistisch, dass meine Annahmen einer äußerst engen Verknüpfung durch moderne wissenschaftliche Klärungen der wirklichen Tatsachen der Zazenpraxis bald bewiesen werden könnten.
Der tatsächliche Fortschritt in der Wissenschaft war jedoch nicht so rasch, wie ich gehofft hatte, und so musste ich einige Jahrzehnte warten, bis sich meine Hoffnungen auf genaue wissenschaftliche Untersuchungen hierzu erfüllten. Erst jetzt hat sich in aller Klarheit gezeigt, dass eine ganze Reihe von Wissenschaftlern erfolgreich die psychologischen Theorien des Halbbewussten oder Unbewussten klären konnten und nun in der Lage sind, auch sog. mystische Inhalte religiöser Fragen gründlich und fundiert zu erforschen. Dazu bedarf es natürlich auch einer Offenheit und Bereitschaft für diese Fragen, die leider nicht alle Wissenschaftler haben.
Ich habe in diesem Zusammenhang vor allem die psychologischen Arbeiten des amerikanischen Psychiaters Karl Menninger studiert, insbesondere die Bücher mit den Titeln "The Human Mind", "Man Against Himself" und "Love Against Hate". Das Buch "Man Against Himself" erklärt die psychologischen Zusammenhänge von Menschen, die selbstmordgefährdet sind. Der Autor vertritt die klare Ansicht, dass ein Mensch, der Suizid begangen hat, nicht etwa schwach, sondern dass er oder sie im Gegenteil meist sehr stark und aggressiv war. Ein solcher Mensch neigt zunächst dazu, jemand anderen aggressiv anzugreifen. Aber wenn aus irgendeinem Grund die Attacke gegen den anderen nicht erfolgreich ist, richtet er außerordentlich starke aggressive Energien gegen sich selbst, so dass er oder sie sich selbst tötet. Diese Umstände und Zusammenhänge sind beim Suizid in vielen Fällen sehr real beweisbar. Als ich diese Aussage von Karl Menninger gelesen hatte, war es mir nicht möglich, die Aussage des Autors abzulehnen. Mir wurde klar, wie gefährlich die Situation einer sehr aggressiven Haltung gegen andere aber auch gegen sich selbst ist und dass diese darauf beruht, dass das sympathische Nervensystem als Teil des vegetativen Systems viel zu stark ist und unkontrolliert losschlägt.
Karl Menninger gab als Lösung für dieses Problem an, dass das Gefühl der Liebe in diesem Fall nachhaltig gestärkt werden muss, damit die Energien von Liebe und Hass sich ausgleichen und ein Gleichgewicht erreicht wird. Das Gefühl der Liebe ist nämlich vorherrschend, wenn das andere parasympathische vegetative Nervensystem besonders stark ist. Karl Menninger bestand also darauf, dass sowohl ein zu starkes sympathisches als auch ein zu starkes parasympathisches vegetatives Nervensystem unnormal und für den Menschen sehr gefährlich ist. Mit anderen Worten haben wir Menschen also die große Aufgabe, unser vegetatives Nervensystem ins Gleichgewicht zu bringen, um folgenschwere Schäden in der einen oder anderen Richtung zu vermeiden. Als ich dies gelesen hatte, konnte ich die Bedeutung der japanischen und chinesischen buddhistischen Begriffe "Jijuyo Zanmai" wesentlich besser verstehen. Das Wort " Jijuyo" besteht aus zwei Teilen, nämlich "Jiju" und "Jiyo"; "Ji" bedeutet "selbst" und "yo" bedeutet "benutzen". Daher lautet die Übersetzung von "Jiju" in Deutsch sich "selbst zu empfangen" und der Teil "yo" im Gesamtbegriff "Jiyo" bedeutet "benutzen" oder "gebrauchen". Daraus ergibt sich die Bedeutung von "Jiyo" in Deutsch "sich selbst benutzen", also aktiv zu handeln. Jetzt war mir klar, dass "sich selbst zu empfangen" eine eher passive Funktion des parasympathischen Nervensystems bedeutet und "sich selbst zu benutzen" eine ziemlich aktive oder sogar aggressive Funktion des anderen sympathischen Systems ist. Auf der Grundlage dieser Überlegungen der buddhistischen Lehre und Praxis dachte ich, dass ich das fundamentale grundsätzliche Prinzip des Buddhismus verstanden hatte: Im Gleichgewicht sich selbst zu empfangen und aktiv zu handeln.
a) Buddhistischer Realismus
Ich bin daher der festen Überzeugung, dass die Zeitalter der menschlichen Geschichte in den beiden Phasen, nämlich in die Unterteilung in Religionen einerseits und Wissenschaft andererseits, oder was gleich bedeutend ist, in Idealismus und Materialismus zu Ende gehen. Ich glaube, dass nunmehr das Zeitalter begonnen hat, in dem wir ohne Zweifel den bisherigen gewaltigen Widerspruch dieser zwei sehr verschiedenen und durchaus wertvollen aber einseitigen Kulturströmungen des Idealismus und Materialismus zu überwinden haben. Dies wird das Zeitalter sein, in dem sich die hervorragende Lehre der Wirklichkeit, also des Realismus, durchsetzt. Es gibt wahrscheinlich einen ganz grundlegenden Unterschied von Idealismus und Materialismus, so dass es logisch gesehen nicht möglich erscheint, beide zu einer Einheit zu verschmelzen. Glücklicherweise besitzen wir jedoch durch die Leistung und Güte von Gautama Buddha die sog. vier Lebensphilosophien und haben nun die Möglichkeit, das Problem des bisherigen Gegensatzes dieser beiden widersprüchlichen Weltanschauungen zu überwinden. Gautama Buddha lehrte die Einheit von theoretischer und praktischer Philosophie. Wir können daher die zwei obigen entgegen gesetzten Philosophien in eine größere Einheit einbringen, wenn wir die vier Lebensphilosophien von Gautama Buddha verstehen und in unserem praktischen Leben umsetzen.

3. Die Wirklichkeit und Meister Dogens Merkmale des Zazen

Wir haben jetzt mit der großen Frage zu tun, was Zazen eigentlich ist und ich denke, dass uns Meister Dogen hierzu vier wichtige Merkmale an die Hand gegeben hat.
a) Hi Shiryo: Nicht denkenDas japanische Wort Hi bedeutet Verneinung, also "nicht" oder "das Gegenteil" und Shiryo bedeutet "Überlegung" oder „Denken“. Daher bedeutet Hi Shiryo "Nicht denken". Daraus ergibt sich etwas sehr Wichtiges für Zazen: Zazen ist also niemals verstandesmäßiges Denken oder die Konzentration auf ein bestimmtes Problem, das mit dem Verstand durchdacht werden soll. Genauso wenig ist Zazen Wahrnehmung, sondern es ist das Handeln und Sitzen selbst.
Eine der verschiedenen buddhistischen Richtungen wird Zen genannt. Bei einigen dieser Linien scheint es wiederum so, dass Zazen eine Übungspraxis ist, in der der Übende mit Sorgfalt und Konzentration über schwierige philosophische Probleme nachdenken und sie lösen soll. In diesem Sinne gibt der Lehrer seinen Schülern oft paradoxe Geschichten, die eine philosophische Diskussion beinhalten, und die Koan genannt werden. Dann streben die Schüler mit aller Kraft danach, die Bedeutung dieser Koans zu verstehen, während sie Zazen praktizieren. Nach meinem Verständnis ist diese Interpretation der Zazenpraxis jedoch nicht korrekt.
Meister Dogen lehrte uns im Gegensatz dazu ganz klar, dass Zazen auf keinen Fall eine Übungspraxis ist, bei der man mit dem Verstand ein Problem bearbeiten und verstehen soll und es ist auch keine Praxis des ziel- und zweckgerichteten Denkens. Vielmehr ist Zazen nur das Sitzen in der genau überlieferten, richtigen Sitzhaltung. Wir müssen daher davon ausgehen, dass Zazen niemals Denken und verstandesmäßige Überlegung ist, sondern das Handeln des Sitzens selbst in der genau richtigen Haltung.
Wir Menschen haben uns daran gewöhnt, dass die zentralen Bereiche unserer Kultur einerseits der Verstand und Intellekt und andererseits die genaue Sinneswahrnehmung durch externe Sinnesreize sind. Im Buddhismus sehen wir dies ganz anders. Wir sind fest davon überzeugt, dass der wesentliche Kern unserer wahren Kultur unsere ganzheitliche intuitive Fähigkeit ist, die tatsächliche Situation der Welt direkt zu erfassen und zwar so, wie sie wirklich ist und entsprechend zu handeln. Der Buddhismus schätzt daher die Übungspraxis des Zazen in hohem Maße, weil wir im Zazen die ganze und umfassende Wirklichkeit direkt und tatsächlich erfahren können.
b) Shoshin Tanza: Wahres Sitzen in der richtigen SitzhaltungZazen umfasst nicht nur den geistigen, sondern auch den körperlichen, physischen Bereich. Daher beschreibt Meister Dogen sein zweites Merkmal des Zazen als Shoshin Tanza; Sho bedeutet "wahr" oder "etwas richtig machen", Shin bedeutet "Körper", Tan bedeutet "richtig" und Za bedeutet "Sitzen". Daher bedeuten die Worte Shoshin Tanza genau in der wahren Sitzhaltung richtig zu sitzen.
Zazen ist eine Art des Handelns und eine Handlung des Seins. Daher ist es nicht auf den geistigen Bereich beschränkt, also nicht an die Bedingungen unseres Geistes geknüpft, sondern es umfasst auch immer unseren ganzen körperlichen Bereich. Meister Dogen sagte stets, dass Körper und Geist eine Einheit bilden. Wenn wir den Körper durch richtiges Sitzen in der wahren Sitzhaltung im Gleichgewicht halten, ist auch der Geist auf natürliche Weise im Gleichgewicht. Daher sollten wir sorgfältig darauf achten, dass wir die richtige körperliche Sitzhaltung im Zazen haben.
c) Shinjin Datsuraku: Körper und Geist fallen lassenDiese Formulierung wurde seit den alten Zeiten immer wieder gründlich missverstanden und das richtige Verständnis ist sehr wichtig. Dieses Missverständnis hat dabei wesentlich mit der Tatsache zu tun, dass es sich auf die Funktion des damals unbekannten vegetativen Nervensystems bezieht. Vor dem 19. Jahrhundert gab es keinerlei klares Wissen in der Menschheit über das vegetative Nervensystem und daher war die richtige Bedeutung der Formulierung "Körper und Geist fallen lassen" für viele nicht verständlich. Denn in der Tat ist das richtige Begreifen dieses Ausdrucks eng mit der Funktion des vegetativen Nervensystems verbunden.
Dieses gliedert sich wie erwähnt in die zwei Bereiche, nämlich das sympathische und das parasympathische Nervensystem. Oft sind die Kräfte dieser beiden Teilsysteme nicht im Gleichgewicht oder sogar im Konflikt miteinander und dann ist das eine stärker als das andere und überwiegt insgesamt. Wenn zum Beispiel das sympathische Nervensystem zu stark ist und nicht im Gleichgewicht ist, neigen wir zu übermäßiger Aktivität, zu übermäßigem Denken, zu Hektik und auch zu Angst. Wenn das parasympathische Nervensystem demgegenüber zu stark und nicht im Gleichgewicht ist, haben wir die Neigung, nachlässig, bequem und faul zu sein und es fehlt uns an Motivation und Antrieb. Wenn wir aber Zazen praktizieren, sind das sympathische und parasympathische Nervensystem gleich stark; sie gleichen sich also aus und sind im Gleichgewicht. Wir haben dann automatisch das Bewusstsein, dass weder das sympathische noch das parasympathische Nervensystem zu stark ist.
Daher ist das Gleichgewicht im Zazen ein Zustand, in dem sich Plus und Minus ausgleichen und sozusagen Null sind. Wir haben dann ein Bewusstsein, als ob Körper und Geist fallen gelassen worden sind und Körper und Geist nicht mehr wie früher vorhanden sind. Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Gleichgewicht im Zazen das reine Nichts ist, dass also alle Fähigkeiten des Körpers zu fühlen nicht mehr existieren und dass auch die Fähigkeiten des Geistes zu denken ebenfalls fehlten. Es bedeutet vielmehr, dass durch das Gleichgewicht im Zazen die extremen Zustände und schmerzlichen Schwankungen des Lebens beendet werden und dass die Überbetonung der einen Seite und die Unterdrückung der anderen aufhören. Dann gibt es ein Leben ohne Gleichgewicht gar nicht mehr. Das ist die wahre Bedeutung des Ausdrucks "Köper und Geist fallen lassen" oder Shinjin Datsuraku.
Wir sollten außerdem verstehen, dass das Fallenlassen von Körper und Geist auch bedeutet, dass sowohl die einseitige materialistische als auch die idealistische Sichtweise fallen gelassen werden und verschwinden.
d) Shikan Taza: Nur SitzenWie ich bereits betont habe, ist Zazen weder verstandesmäßige Überlegung noch konzentrierte Sinneswahrnehmung. Zazen ist genau das wirkliche Handeln im gegenwärtigen Augenblick. Schon aus diesem Grund kann Zazen also niemals Überlegung und niemals Wahrnehmung sein. Es ist wirklich allein Sitzen und daher sagt uns Meister Dogen: "Nur Sitzen!" Das ist die Bedeutung von Shikan Taza. Wir sollten uns daher immer wieder im Klaren sein, dass Meister Dogen uns dringend empfiehlt: "Nur Sitzen!"
In diesem Sinne ist es für uns vollständig nutzlos, über Zazen tiefgründig nachzudenken und kluge Bücher zu lesen, uns also nur verstandesmäßig damit zu beschäftigen oder auch dass wir anderen genau zuschauen, wenn sie Zazen praktizieren.
Meister Dogen sagt am Ende seiner Anleitung zum Zazen (Fukan-Zazen-Gi):
"Ich bitte Euch eindringlich, edle Freunde, die ihr (die Wahrheit) durch
die Erfahrung lernt, erschreckt nicht vor dem wahren Drachen, weil ihr Euch an
seine Abbilder gewöhnt habt. Richtet Eure Anstrengungen auf die Wahrheit, die
direkt zugänglich und unkompliziert ist. Verehrt die Menschen, die aufgehört
haben, (theoretisch) zu studieren und die keine (egoistischen) Absichten
verfolgen. Seid im Einklang mit der Wahrheit (bodhi) der Buddhas und werdet
wahrhaftige Nachfolger des Samadhi der Vorfahren im Dharma. Wenn Ihr einen
solchen Zustand eine lange Zeit lang praktiziert, werdet Ihr sicher zu einem
solchen Zustand selbst werden. (Dann) wird sich das Schatzhaus des Dharmas auf
natürliche Weise öffnen und Ihr werdet (ihn) empfangen und benutzen können, wie
Ihr wollt."


4. Tägliches Leben und die Praxis des Zazen

Es bringt nichts, wenn wir nicht regelmäßig und jeden Tag Zazen praktizieren. Obgleich wir vielleicht an einem bestimmten Tag das Gleichgewicht erreichen, wenn wir Zazen praktiziert haben, fallen wir an einem anderen Tag wieder zurück, wenn es für uns nicht möglich ist, Zazen zu praktizieren. Dann können wir die Balance des vegetativen Nervensystems nämlich nicht mehr halten. Wenn wir nur unregelmäßig und hin und wieder Zazen praktizieren, wird es bei uns bestimmte Tage geben, an denen wir im Gleichgewicht sind und uns gut fühlen und andere, an denen wir das Gleichgewicht überhaupt nicht erreichen oder halten können. Dies liegt daran, dass wir einmal in der Balance sind und sie ein anderes Mal verloren haben. Unter solchen instabilen Bedingungen werden wir die Erfahrung machen, dass es uns einmal sehr gut und anderen Tagen sehr schlecht geht und dass wir unstet hin- und herschwanken. Wenn wir daher jeden Tag glücklich und im Gleichgewicht sein wollen, ist es für uns notwendig, dass wir ohne Ausnahme jeden Tag Zazen praktizieren.
a) Notwendigkeit der Zazenpraxis mindestens zweimal pro Tag:
Weil die Zazenpraxis durchgeführt wird, um jeden Tag im Gleichgewicht zu halten, gelingt dies umso besser, je häufiger wir Zazen praktizieren. Wir können dann das Gleichgewicht dauernd aufrechterhalten. Meister Dogen rät uns in seinem Buch mit dem Titel "Die Methode nach der Wahrheit zu streben" (Bendu-Ho) viermal am Tag Zazen zu praktizieren. Dieses Buch gehört zu "Die reinen Regeln des Eihei-Tempel" (Eihei Shigi) des Soto-Buddhismus. Die Perioden der Zazenpraxis im Eihei-Tempel gliedern sich wie folgt: 1) "Der frühe Morgen" (Doya), 2) "Nach dem Frühstück" (Soshin), 3) "Nach dem Mittagessen" (Hoji) und 4) "Am Abend" (Okon). Wir sollten daher den Vorgaben des Buches Bendu-Ho so weit wie möglich folgen, die Meister Dogen uns gegeben hat.
Wenn wir aber an die Realität unseres normalen Alltags denken, wird der Unterschied zwischen dem 13. Jahrhundert, als Meister Dogen lebte, und dem 21. Jahrhundert, in dem wir jetzt leben, sehr deutlich. Im 13. Jahrhundert hatten viele Länder eine feudalistische Gesellschaft, die auf der Agrarproduktion vor Ort aufbaute. Heute, im 21. Jahrhundert, haben die meisten Länder eine demokratische Organisation und eine industrielle, kapitalistische Gesellschaftsstruktur, so dass lange Wege zur Arbeit erforderlich sind. In dem Zeitalter von Meister Dogen konnten viele Menschen davon leben, dass sie die Äcker und Felder bestellten. Demgegenüber müssen wir heute unser Einkommen in den verschiedensten Berufen erzielen, um leben zu können und sind tagsüber meist nicht zu Hause. Selbst wenn wir uns fest vornehmen würden, vier Mal am Tag Zazen zu praktizieren, ist das faktisch fast unmöglich. Daher empfehle ich, dass wir regelmäßig zweimal am Tag Zazen praktizieren und uns damit zufrieden geben. Wir haben selbstverständlich auch die Möglichkeit, von Zeit zu Zeit an einer intensiven Sesshin teilzunehmen oder können dann längere Zeit und ungestört praktizieren. Auch wenn wir deshalb vielleicht doppelt so viele Jahre benötigen, um die zweite Erleuchtung wie viele hervorragende alte chinesische buddhistische Meister vor uns zu erlangen, können wir die erste Erleuchtung jeden Tag erreichen, wenn wir jeden Tag Zazen praktizieren! Ich bin nämlich fest davon überzeugt, dass die erste Erleuchtung genau die Praxis des Zazen im gegenwärtigen Augenblick ist. Die zweite Erleuchtung ist das vollständige Verstehen der gesamten buddhistischen Lehre, das auf dem ehrlichen täglichen Leben des Übenden und auf der Grundlage der Zazenpraxis beruht. Wenn wir fortfahren jeden Tag Zazen zu praktizieren, können wir andauernd in den Zustand der ersten Erleuchtung eingehen und unser tägliches Leben mit großer Freude leben.
b) Wie lange sollten wir in Zazen sitzen?
Wir können uns z.B. für Sitzperioden von 15, 30 oder 45 Minuten usw. entscheiden. Wenn wir Anfänger sind, sollten wir zunächst besser eine kürzere Zeitdauer wählen und sie dann entsprechend unserem Fortschritt erhöhen.
c) Ort für die Praxis
In Fukan-Zazen-Gi von Meister Dogen heißt es, dass "ein ruhiger Ort besser ist", so dass wir einen solchen gegenüber einem unruhigen Platz vorziehen sollten. Aber wir müssen dabei nicht perfektionistisch sein. Es ist überhaupt nicht notwendig, dass wir einen besonders gut geeigneten Ort, z.B. tief in den Bergen, für die Praxis benutzen. Normale einfache und ruhige Plätze unseres täglichen Lebens sind ausreichend für uns, um Zazen zu praktizieren.
Für den Sitzplatz heißt es in Fukan-Zazen-Gi weiter, dass "wir einen Platz einnehmen sollten, der groß genug ist, dass wir uns dort (gut)aufhalten können". Daher reicht also ein Ort, an dem wir bequem sitzen können.
d) Kleidung
Über die Kleidung sollten wir uns keine besonderen Gedanken machen, aber der sog. buddhistischen Kashaya sollten wir durchaus besondere Aufmerksamkeit widmen, da sie seit den Zeiten Gautama Buddhas und des alten Indien benutzt und traditionell getragen wird. Sie verbindet uns symbolisch eng mit Gautama Buddha selbst. Tatsächlich haben wir ein erhabenes und heiliges Gefühl, wenn wir die Kashaya tragen, so dass wir dabei tiefe Freude und wahres Glück empfinden können. Ich denke auch, dass es für niemanden ein besonderes Problem ist, die Kashaya zu tragen. Es ist übrigens ohne Zweifel erlaubt, dass jeder die Kashaya trägt, selbst wenn er an der Zeremonie, in der man die Gelöbnisse ablegt, noch nicht teilgenommen hat. Wenn wir in den speziellen Läden eine Kashaya aus Seide bestellen, werden wir vermutlich überrascht sein, wie teuer sie ist. Aber es ist durchaus zulässig, als Material Kunststoffe wie Nylon usw. zu wählen, anstatt viel Geld für die traditionelle teure Seide auszugeben. Es ist weiterhin erlaubt, dass die Kashaya mit der Maschine genäht wird. Ich bestehe nicht darauf, dass die Kashaya mit der Hand selbst genäht werden muss. Es gibt im Übrigen in dem Verlag "Daihorin-Kaku" ein japanisches Buch mit dem Titel "Untersuchung der Kashaya" (Kesa no Kenkyu), das eine genaue Beschreibung enthält, wie man eine Kashaya näht. Wenn dieses Buch ins Englische oder Deutsche übersetzt würde, wäre es sicher eine große Hilfe für alle, welche die Kashaya selbst nähen wollen. In der Dogen-Sangha gibt es außerdem einige Mitglieder, die selbst eine Kashaya gut mit der Hand nähen können und sich einmal im Monat treffen, um ihre Erfahrungen auszutauschen.

3 Kommentare:

Jo-Shin hat gesagt…

Gassho

... ist mit der "Kashaya" das OKesa gemeint ?

( ) JoShin

sitzender Drache hat gesagt…

Soeben finde ich diese (nämlich die deutsche) Version des Dogen Sangha Blogs. Schön, dass es Euch gibt.
Möglicherweise interessiert Euch folgendes: Demnächst geht die deutsche Version von Hardcore Zen (dem Blog des Nishijima-Schülers Brad Warner) online: http://kodo.wordpress.com/ .
Ich freue mich schon auf einen regen Meinungsaustausch!

Robin hat gesagt…

vielen Dank für diese Übersetzung!