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Meister Nishijima praktiziert Buddhismus seit über 60 Jahren. Er war Schüler von Meister Kodo Sawaki, einem japanischen umherziehenden Priester, der berühmt dafür war unermüdlich zu betonen, dass die Praxis des Zazen ihren richtigen zentralen Platz im Buddhismus erhält und der selbst intensiv praktizierte. Meister Nishijima wurde von Meister Renpo Niwa als Priester ordiniert, der später als Abt den Zentraltempel des Soto-Buddhismus leitete. Nishijima Roshi hat viele Bücher über Buddhismus u.a. von Dogen sowohl in Japanisch als auch in Englisch geschrieben. Über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren hat er in Japanisch und Englisch viele Vorträge gehalten, Seminare und Sesshins geleitet sowie genaue Anweisungen zum Buddhismus und vor allem zum Zazen gegeben. Deutsche Fassung: Yudo J. Seggelke

Donnerstag, 8. Februar 2007

Handeln im Buddhismus

1. Grundsätzlicher Unterschied zwischen Theorie und Handeln.
Eines der wichtigsten Merkmale der buddhistischen Lehre ist die genaue Unterscheidung zwischen Theorie und praktischem Handeln. Im Allgemeinen werden philosophische Systeme auf der Grundlage von Ideen und intellektuellem Denken entwickelt. Insbesondere gibt es in der westlichen Philosophie die beiden verstandesmäßigen und theoretischen Richtungen und zwar das reine Denken des Idealismus und die Sinneswahrnehmung des Materialismus. Beide gehören jedoch in den Bereich intellektuellen Denkens, in denen diese philosophischen Systeme angesiedelt sind. Im Buddhismus gibt es jedoch die fundamental wichtige Unterscheidung zwischen rein verstandesmäßiger intellektueller Überlegung einerseits und einer Theorie der Praxis und des Handelns andererseits. Diese beiden Arten von Lebensphilosophien, also der theoretischen und praktischen, sind einzigartig im Buddhismus, sind aber gleichzeitig ein Grund, warum der Buddhismus häufig als schwierig und schwer verständlich angesehen wird.
In dem Kapitel 10 des "Die Schatzkammer des Dharma-Auges" (Shobogenzo) mit der Bezeichnung "Erzeugt kein Unrecht! (Shoaku makusa) gibt es eine sehr aussagekräftige Geschichte, die den Unterschied zwischen Denken/Reden und Praxis sehr genau beschreibt: Der Laienschüler Haku Kyo-i aus der Tangzeit war Schüler des Zen-Meisters Bukko Nyoman und ein Schüler in der zweiten Generation von Zen-Meister Kozei Daijako. Als er Gouverneur des Distriktes Hangzhou war, praktizierte er nach der Anweisung von Zen-Meister Choka Dorin. In der Geschichte fragt der Schüler Haku Kyo-i:
"Was war die große Absicht von Meister Bodhidharma aus dem Westen?"

Meister Dorin sagte:

"Kein Unrecht zu erzeugen und das Rechte zu tun".

Haku Kyo-i sagte darauf:

"Wenn das so ist, kann dies sogar ein dreijähriges Kind sagen" (, weil es so einfach ist). Meister Dorin erklärte darauf: "Ein dreijähriges Kind kann schon die Wahrheit sagen. Aber selbst ein erfahrener Mann von 80 Jahren kann sie nicht konkret verwirklichen" (, weil es so schwierig ist).
Damit wird der Unterschied, einerseits die Wahrheit in Worte zu fassen und nur zu reden und andererseits sie im Handeln zu verwirklichen, klar und kurz markiert. In der Geschichte machte der Schüler Haku Kyo-i darauf eine Niederwerfung als Dank und ging dann fort.

2. Die Zeit ist jetzt und der Ort ist hier

Wenn wir darüber nachdenken, zu welcher Zeit das wirkliche Handeln in unserem täglichen Leben vor sich geht, so müssen wir zu dem klaren Schluss kommen, dass das Handeln immer genau im gegenwärtigen Augenblick stattfindet. Wenn wir dieselbe Frage auf der Grundlage des Denkens und Verstandes angehen, können wir sagen, dass wir etwas in der Vergangenheit getan haben oder in Zukunft tun werden. Wir können auch denken und uns vorstellen, was und wie wir in der Gegenwart handeln. Aber derartige Überlegungen können niemals das wirkliche Handeln selbst sein oder es ersetzen, denn dieses Handeln kann immer nur im gegenwärtigen Augenblick geschehen. Die Vergangenheit und die Zukunft gibt es nur beim Denken in unserem Gehirn. Diese Tatsache ist für unser tägliches Leben außerordentlich wichtig. Oft sind wir uns überhaupt nicht bewusst, dass das Denken über das Handeln in der Vergangenheit oder in der Zukunft sich fundamental von dem wirklichen Handeln in der Gegenwart unterscheidet. Das Denken kann also niemals das Handeln selbst sein und das wirkliche Handeln im gegenwärtigen Augenblick unterscheidet sich also grundsätzlich von den drei Arten des Denkens und der Überlegung (Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft). Es ist außerordentlich wichtig, dies klar zu erkennen, denn nur das Handeln in der wirklichen Welt vollzieht sich im gegenwärtigen Augenblick und kann niemals in der Vergangenheit oder der Zukunft stattfinden. Wenn das wirkliche Handeln in dieser Welt nur im gegenwärtigen Augenblick als Realität vor sich geht, so gilt genau dieselbe Tatsache für den Ort des Handelns, wo wir etwas in unserem täglichen Leben tun. Wenn wir jedoch nicht handeln sondern nur an irgendeinen Ort denken, an dem wir in unseren Überlegungen anwesend sind, kann dies auf dem Lande, in einer Stadt, in einem Zentrum, in den Bergen usw., sein. Aber alle diese verschiedenen Möglichkeiten, wo wir leben könnten, sind wirklich nur im Denken vorhanden und gehören alle zu dem Bereich der Vorstellung und nicht zur Wirklichkeit. Wenn wir diese Fragen also auf der Grundlage der wirklichen Tatsachen in der realen Welt untersuchen, stellen wir natürlich fest, dass wir jeweils nur an einem einzigen Ort tatsächlich leben können. In der buddhistischen Philosophie des Realismus müssen wir daher sagen, dass wir nur genau an diesem Ort sind.
Daraus ergibt sich zwingend, dass wir sagen müssen: Wir leben immer je nur in diesem gegenwärtigen Augenblick und wir leben immer nur je an diesem Ort. Wenn wir mit anderen Worten alles auf der Grundlage des buddhistischen Realismus erfahren, ist die wirkliche Zeit immer das Jetzt und der wirkliche Ort immer das Hier. In diesem Sinne sagt der chinesische buddhistische Meister Tozan Gohon: "Ich bin immer überaus aufrichtig und wahr, genau an diesem Ort".

3. Augenblicklichkeit des Universums
Im Shobogenzo gibt es das sehr wichtige Kapitel 11 mit dem Titel “Sein-Zeit“ (Uji). Dabei bedeutet "U" Existenz und "ji" Zeit. Daher drückt das Wort Uji aus, dass die Existenz von irgendetwas in der wirklichen Welt immer nur als Ereignis der wirklichen Zeit da ist. Mit anderen Worten, wenn irgendetwas existiert, existiert auch unausweichlich die Zeit und wenn die Zeit existiert, existiert das Irgendetwas ebenfalls ohne jede Ausnahme. Dies bedeutet also die grundsätzliche Identität von Existenz und Zeit in der wirklichen Welt. Daher heißt es im Kapitel Uji:
"Zeit ist schon genau Sein und jedes Sein ist Zeit".

Dabei sind Sein und Zeit vollkommen gleich bedeutend. Diese zentrale Aussage von Uji bedeutet also, dass Zeit und Sein unlösbar zusammen sind und zusammen existieren und dass es unmöglich ist, dass die wirkliche Zeit und das wirkliche Sein voneinander überhaupt getrennt werden können. Dies erscheint zunächst wirklich überraschend!
Dieser Ansatz ist heute jedoch nicht nur für den Buddhismus typisch. In der Tat hat der deutsche Philosoph Martin Heidegger sein zentrales Werk "Sein und Zeit" benannt, und er beschreibt darin ebenfalls die Unauflösbarkeit von Sein oder Existenz und Zeit.
Die wirkliche Zeit im Buddhismus ist niemals die vorgestellte Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die wie eine Linie gedacht wird, sondern die wirkliche buddhistische Zeit ist je genau der kurze Augenblick oder gegenwärtige Moment. Daher sagt Meister Dogen im Kapitel 70 des Shobogenzo "Erweckung des Bodhi-Geistes" (Hotsu-bodaishin):
"Im Allgemeinen beruhen die Erweckung des Geistes und die Verwirklichung der
Wahrheit auf dem augenblicklichen Entstehen und Vergehen aller Dinge. Wenn (alle
Dinge) nicht Augenblick für Augenblick entstehen und wieder vergehen würden,
könnte das Unrecht, das im vorherigen Augenblick getan wurde, nicht vergehen.
Würde das Unrecht, das im vorherigen Augenblick getan wurde, nicht vergehen,
könnte sich das Rechte im darauf folgenden Augenblick nicht verwirklichen".

Dies ist der buddhistische Realismus, der die gegenwärtige Augenblicklichkeit zum zentralen Angelpunkt des Lebens und der Welt macht.
Meister Dogen beschreibt im selben Kapitel einige Zeilen danach, dass aber kein gewöhnlicher Mensch dies jemals gedacht oder gewusst hat und weiter, dass jene, die den Buddha-Dharma nicht kennen, an den Gesamtzusammenhang des augenblicklichen Entstehens und Vergehens nicht glauben, dass aber jener, der den Schatz des wahren Dharma-Auges und den edlen Geist des Nirwanas klärt, ohne Zweifel diesem Gesamtzusammenhang des augenblicklichen Entstehens und Vergehens vertraut.
Die wirkliche Welt existiert nicht als eine lange Linie von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft, sondern sie existiert real nur im gegenwärtigen Augenblick, der unabhängig von der Linie als kurzer Moment der Augenblicklichkeit vorhanden ist. Außerdem gibt die gegenwärtige Augenblicklichkeit der Wirklichkeit und des Universums eine klare und einfache Lösung des Widerspruchs von menschlicher Freiheit und menschlicher Vorausbestimmung, also des Determinismus. Seit vielen tausenden von Jahren haben sich die Menschen mit dem ernsten und schwierigen philosophischen Problem beschäftigt, das immer völlig unlösbar erschien, nämlich mit dem Widerspruch von menschlicher Freiheit und deterministischer Vorausbestimmung. Auf der Grundlage des Idealismus, der die Freiheit des Geistes und des Menschen beinhaltet und des Materialismus, der die Vorausbestimmung behauptet, ist es vollständig unmöglich, den unüberbrückbaren Gegensatz von Freiheit und Vorausbestimmung zu lösen. Indem man jedoch das Prinzip der Augenblicklichkeit des gegenwärtigen Momentes und des gesamten Universums im buddhistischen Realismus verwendet, können wir den Gesamtzusammenhang so erklären, dass unser menschliches Handeln im gegenwärtigen Augenblick so zu sagen wie eine Perle auf der Schneide einer Rasierklinge verstanden werden kann. Damit wird ausgesagt, dass die Dauer des gegenwärtigen Augenblicks außerordentlich kurz ist. Der Buddhismus erklärt mit Nachdruck, dass das menschliche Handeln im gegenwärtigen Augenblick der beweglichen Situation der Perle auf der Rasierklinge gleicht, in dem Freiheit und Vorherbestimmung als Wirklichkeit beide vorhanden sind. Auf diese Weise können wir den theoretischen Widerspruch zum ersten Mal in der menschlichen Geschichte der Philosophie lösen. Und dies stimmt mit der Wirklichkeit des Lebens überein, wo es weder vollkommene Freiheit noch vollkommene Vorausbestimmung gibt.

4. Zazen
In der höchsten Form der Lebenphilosophie des Handelns sind wir beim Zazen angekommen und dies ist der wesentliche Kern des Buddhismus. Der wichtigste Punkt in diesem Gesamtzusammenhang besteht jedoch darin, dass eine noch so gute Erklärung des Zazen niemals dessen Praxis selbst sein kann. Zazen selbst ist nur, dass wir unsere Beine kreuzen, dass wir unsere Arme kreuzen, dass wir unser Rückgrat gerade und senkrecht strecken, usw. Ich möchte noch einmal daran erinnern, dass dies sich vollständig davon unterscheidet, dass wir eine Erklärung des Zazen lesen oder der Haltung eines anderen beim Zazen zuschauen.
Nachdem ich diesen Teil des Dogen-Sangha-Blog beendet habe, plane ich eine genaue Beschreibung der tatsächlichen Methode der Zazenpraxis zu verfassen und möchte daher darum bitten, sich noch für eine Weile zu gedulden. Allgemein gesagt gilt, dass Buddhismus wirklich eine einzigartige praktische Philosophie ist, die in anderen Kulturen außerordentlich selten und kaum entwickelt worden ist. Buddhismus ist eine Kultur, die sich dadurch öffnet, dass wir Zazen praktizieren. Buddhismus ist daher die wirkliche Welt, die sich genau durch diese Praxis öffnen kann. Ohne Zazen zu praktizieren, gibt es m.E. keinen Buddhismus.
Wenn es also die Praxis des Zazen gibt, können wir sofort ganz einfach die Welt des Buddhismus öffnen und dies ist die große Güte von Gautama Buddha. Daher sagt Meister Dogen im Kapitel 1 des Shobogenzo “Ein Gespräch über die Praxis des Zazen“ (Bendowa) Folgendes:
"Das Gesetz des Universums ist in jedem einzelnen Menschen im Überfluss
vorhanden. Aber wenn wir es nicht praktizieren, offenbart es sich nicht und wenn
wir es nicht erfahren, kann es nicht verwirklicht werden. Wenn wir es lassen,
hat es schon unsere Hände gefüllt. Wie könnten wir es (zahlenmäßig) als eines
oder viele festlegen? Wenn wir sprechen, füllt es den Mund. Es hat keine
Begrenzungen in irgendeiner Richtung“.

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