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Meister Nishijima praktiziert Buddhismus seit über 60 Jahren. Er war Schüler von Meister Kodo Sawaki, einem japanischen umherziehenden Priester, der berühmt dafür war unermüdlich zu betonen, dass die Praxis des Zazen ihren richtigen zentralen Platz im Buddhismus erhält und der selbst intensiv praktizierte. Meister Nishijima wurde von Meister Renpo Niwa als Priester ordiniert, der später als Abt den Zentraltempel des Soto-Buddhismus leitete. Nishijima Roshi hat viele Bücher über Buddhismus u.a. von Dogen sowohl in Japanisch als auch in Englisch geschrieben. Über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren hat er in Japanisch und Englisch viele Vorträge gehalten, Seminare und Sesshins geleitet sowie genaue Anweisungen zum Buddhismus und vor allem zum Zazen gegeben. Deutsche Fassung: Yudo J. Seggelke

Samstag, 30. August 2008

Der mittlere Weg und der Wille zur Wahrheit (Teil 2)
Fragen und Antworten
(Aus dem Buch: Begegnung mit dem wahren Drachen, erscheint demnächst)


Es ist schwer für mich, den Sinn des mittleren Weges als Ziel zu verstehen. Können Sie erklären, wie der mittlere Weg als Leitlinie für das praktische Handeln funktionieren kann?


In den alten buddhistischen Schriften werden meist Gleichnisse und Metaphern verwendet, um die Lehren leichter verständlich zu machen. Vielleicht wäre ein solches Vorgehen auch sinnvoll, um den mittleren Weg verständlich zu machen. Wir können das Leben mit einer Straße oder Autobahn vergleichen:

Unsere Straße führt zu einem Zielort, aber vom Standort unseres Ausgangspunktes ist dieser Zielort normalerweise nicht zu sehen. Die Landschaft rechts und links von der Straße ist jedoch sichtbar und dies ist oft sehr spannend und auch verführerisch. Es gibt wunderbare Ausblicke auf Berge, Wälder und Flüsse, die unsere Aufmerksamkeit von der Straße ablenken. Außerdem gibt es am Straßenrand faszinierende Werbung für alle möglichen wunderbaren Dinge. Einige preisen ihre Produkte als das Höchste für die Lebensqualität und Lebensfreude an. Andere bieten sofortigen Ruhm und Erfolg und andere versprechen uns den Weg zur allwissenden Erleuchtung und zur spirituellen Glückseligkeit.

Ohne dass wir uns dessen bewusst sind, lenken wir das Steuerrad des Autos nach der verführerischen Werbung entweder nach rechts oder nach links. Aber die Straße des Lebens ist seitlich der wirklichen Straße nicht befahrbar! Am Straßenrand sind nur Schlaglöcher und gefährliche Abgründe. Wenn wir das Auto in den Graben fahren, wird es vermutlich viel Zeit in Anspruch nehmen, um wieder zurück auf die befestigte Straße zu gelangen und weiterzufahren.

Es ist also das Ziel des Lebens, einfach auf der Straße zu bleiben, sonst geht es nicht voran. Wir sollten uns nicht allzu sehr um die endgültige Bestimmung und den zukünftigen Zielort sorgen. Das Problem ist unsere Sicherheit beim Fahren, hier und jetzt. Wenn wir das Gefühl haben, durch allzu fantastische Ideale oder materialistische Anreize nach rechts oder links weggezogen zu werden, sollten wir möglichst bald unseren Kurs korrigieren und wieder auf die Mitte der Straße zurückkehren.

Dies ist die Bedeutung des mittleren Weges als Ziel des Lebens. Der mittlere Weg ist nämlich kein fantastisches oder verführerisches Traumziel, sondern ein sehr praktischer Maßstab, um die Ausgewogenheit von Ideen und Handlungen richtig einzuschätzen und zu erreichen. Er ist ein Maßstab, der uns in Bewegung hält und uns in die richtige Richtung bringt. Mit einem solchen Maßstab können wir uns an unserer Fahrt durch das Leben erfreuen, ohne Angst vor illusionären Seitenspuren und gefährlichen Abgründen auf beiden Seiten. Wenn wir dem mittleren Weg folgen, können wir das Ziel des wahren Buddhismus schneller als auf jedem anderen Weg erreichen.

Ist der Idealismus immer die erste Äußerung des Willens zur Wahrheit?

Nein, ich denke nicht. Der Wille zur Wahrheit offenbart sich sehr einfach und direkt schon in der Kindheit. Wenn ein Kind ein seltsames Insekt findet, möchte es z. B. seinen Namen wissen. Wenn es in der Natur einer Schlange begegnet, möchte es sie mit einem Stock anstacheln. Es versucht also herauszufinden, was es damit eigentlich auf sich hat. Eine solche einfache Neugier ist bereits die klare Offenbarung des Willens zur Wahrheit. Wenn man dann älter wird, zieht uns derselbe Impuls zu Buchläden, zu interessanten Menschen oder vielleicht zu buddhistischen Seminaren.

Nicht alle Offenbarungen des Willens zur Wahrheit sind idealistisch. Im Verlauf des Lebens taucht der Wille zur Wahrheit oft in Form von idealistischen Fragen und Antworten auf, wenn wir anfangen, Philosophie oder Religion zu studieren und über das Leben nachdenken. Der Wille zur Wahrheit ist ein grundlegender Charakterzug des Menschen, unsere fundamentale Natur. Daher sollten wir den Willen zur Wahrheit im Laufe des Lebens nicht verlieren und nicht fortwerfen, sondern im Gegenteil bewahren und pflegen.

Sie haben erklärt, dass der Wille zur Wahrheit ganz natürlich und grundsätzlich ist und dass viele unserer Bemühungen im Leben von dem Willen zur Wahrheit gelenkt werden. Warum ist es notwendig, ihn zu erwecken, zu pflegen und zu bewahren, wenn dies so ist?

Das rührt daher, dass sich der ursprüngliche Wille zur Wahrheit, der von allen Menschen geteilt wird, in der Tat auf verschiedenartige Ziele richtet. So gibt es den Willen zum Ruhm, den Willen zum Reichtum, den Willen zur Macht usw. Solche Begierden und ein solcher Ehrgeiz sind nicht notwendigerweise schlecht oder unnatürlich, aber sie haben die Tendenz, den Willen zur Wahrheit selbst zu verdunkeln oder gar zu verdrängen.

Wir werden dann gefangen genommen von unseren weltlichen Aktivitäten und Unternehmungen, so dass wir das wahre Ziel unseres Lebens nicht mehr klar sehen können. An einem bestimmten Punkt werden wir wahrscheinlich die Leere und Sinnlosigkeit unserer blinden Sucht nach Macht, Ruhm, Geld, oberflächlichem Genuss oder scheinbarer Sicherheit erkennen. Wir haben dann das Gefühl, dass alle unsere Anstrengungen im Leben falsch waren und zu nichts geführt haben. Es scheint dann so, als ob es nichts gäbe, für das es sich lohnt zu leben und nichts, auf das wir unser Leben aufbauen könnten.

In solchen Zeiten der Verzweiflung mag sich der Wille zur Wahrheit wieder unüberhörbar melden. Dies ist damit gemeint, den Willen zur Wahrheit zu erwecken. Den Willen zur Wahrheit zu erwecken bedeutet, die Illusionen unserer Gedanken und unserer Begierden zu entdecken und freizulegen. Dabei entdecken wir die Tatsache, dass wir hier und jetzt nichts haben, auf das wir uns stützen und verlassen können – außer auf den Willen zur Wahrheit.

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